Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
Vom Netzwerk:
dich«, sagte ich.
    Das sagte ich fast nie, und ihre Augen strahlten, als sie zu mir hochschauten.
    »Tust du das?«, sagte sie.
    Wir küssten uns flüchtig. Dann stellte der Kellner einen kleinen Korb mit Tacos und eine Schale mit etwas, das nach einem Guacamole-Dip aussah, vor uns ab.
    »Willst du ein Bier?«, sagte sie.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Vielleicht hinterher. Aber dann bist du bestimmt zu müde.«
    »Wahrscheinlich. Hast du Karten bekommen?«
    »Ja.«
    Modern Times hatte ich zum ersten Mal mit zwanzig im Filmclub in Bergen gesehen. Bei einer Szene konnte ich einfach nicht mehr aufhören zu lachen. Die meisten erinnern sich nicht einmal, wann sie zuletzt gelacht haben, ich dagegen weiß noch, wann ich vor zwanzig Jahren gelacht habe, was natürlich daran liegt, dass es nicht so oft vorkommt. Ich erinnere mich sowohl an die Scham darüber, die Kontrolle zu verlieren, als auch an die Freude darüber, sich gehen zu lassen. Die Szene, die mich damals so zum Lachen brachte, stand mir immer noch deutlich vor Augen. Chaplin soll in einer Art Varieté auftreten. Es ist ein wichtiger Auftritt, es steht viel auf dem Spiel, er ist nervös, schreibt sich sicherheitshalber den Text des Liedes auf und steckt ihn sich in den Jackenärmel. Als er auf die Tanzfläche tritt, verliert er die Zettel, weil er sein Publikum mit einer allzu schwungvollen Geste grüßt, so dass sie herausfliegen. Folglich hat er keinen Text, während hinter ihm das Tanzorchester spielt. Was soll er tun? Nun, er macht sich auf die Suche nach ihnen und improvisiert dabei einen Tanz, damit das Publikum nicht merkt, dass etwas nicht stimmt, während das Orchester immer und immer wieder das Intro spielt. Ich lachte Tränen. Aber dann geht die Szene in etwas anderes über, denn er findet den Text nicht, so sehr er auch umhertanzt, und am Ende muss er einfach singen. Er steht ohne Worte da, und als er singt, tut er es mit Worten, die es nicht gibt, die aber wirklichen ähneln, denn obwohl der Sinn verschwunden ist, sind Ton und Melodie noch da, und das freute mich, erinnerte ich mich, nicht nur für mich selbst, sondern für die ganze Menschheit, denn da war eine solche Wärme, und einer aus unseren Reihen hatte sie hervorgebracht.
    Als ich mich an diesem Abend neben Linda in den Kinosaal setzte, war ich mir nicht sicher, was uns erwartete. Chaplin ,
irgendwie. Etwas, worüber jemand wie Fosnes Hansen einen Essay schreibt, wenn das Thema Humor lautet. Und würde ich das, worüber ich vor fünfzehn Jahren gelacht hatte, immer noch komisch finden?
    Allerdings. Und zwar genau an derselben Stelle. Er kommt herein, grüßt das Publikum, die Spickzettel fliegen aus den Ärmeln, er tanzt umher, die Füße hinter sich, schlurfend, ohne dass er jemals den Kontakt zum Publikum verliert; während er tanzt und sucht, nickt er den Leuten unablässig höflich zu. Zur folgenden Pantomime lief mir eine Träne die Wange hinab. So schön war für mich an diesem Abend alles. Wir kicherten auf dem Weg aus dem Kino, Linda freute sich, weil ich so fröhlich war, nahm ich an, aber auch um ihrer selbst willen. Hand in Hand gingen wir die Steintreppe neben dem Finnischen Kulturinstitut hinauf und lachten, als wir Szenen aus dem Film nacherzählten. Anschließend ging es die Regeringsgatan hinunter, an der Bäckerei, dem Möbelgeschäft und US VIDEO vorbei, ehe wir ins Haus gelangten und die Treppen zu unserer Wohnung hochstiegen. Es war neun Minuten nach halb elf, und Linda konnte die Augen kaum noch offen halten, so dass wir sofort ins Bett gingen.
    Zehn Minuten später donnerte unter uns plötzlich die Musik los. Ich hatte die Russin völlig vergessen und setzte mich mit einem Ruck im Bett auf.
    »Verdammt«, sagte Linda. »Das kann doch nicht wahr sein.«
    Ich konnte sie kaum verstehen.
    »Es ist noch keine elf«, sagte ich. »Und es ist Freitagabend. Da werden wir wenig Erfolg haben.«
    »Das ist mir egal«, sagte Linda. »Ich rufe an. Das geht nun wirklich nicht.«
    Aber sie war noch nicht aufgestanden und aus dem Zimmer gegangen, als die Musik auch schon wieder aufhörte. Wir legten
uns erneut hin. Diesmal war ich eingeschlafen, als es von Neuem losging. Es war wie zuvor unglaublich laut. Ich sah auf die Uhr. Halb zwölf.
    »Rufst du an?«, sagte Linda. »Ich habe noch kein Auge zugemacht.«
    Aber das Ganze wiederholte sich. Nach ein paar Minuten schaltete sie ab, und es wurde erneut still unter uns.
    »Ich lege mich ins Wohnzimmer«, sagte Linda.
    In dieser Nacht

Weitere Kostenlose Bücher