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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Sie trat einen Schritt vor und berührte Lindas Bauch, und Sie erwarten ja auch ein Kind, sagte sie in ihrem Russisch klingenden Schwedisch, es tut mir so leid, entschuldigen Sie, aber mein Mann hat mich verlassen, und ich weiß nicht, was ich tun soll, können Sie das verstehen? Musik und ein Schluck Wein, das hilft mir im kalten Schweden. Aber Sie bekommen ein Kind, und Sie sollen schlafen können, meine Liebe.
    Froh darüber, etwas erreicht zu haben, kam Linda wieder hoch und erzählte mir, was gesagt worden war, ehe wir ins Schlafzimmer zurückkehrten und uns hinlegten. Zehn Minuten später, als ich gerade wieder eingeschlafen war, fing das irrsinnige Spektakel von neuem an. Die gleiche Musik in der gleichen wahnwitzigen Lautstärke und mit dem gleichen Gejohle zwischen den Stücken.
    Wir standen auf und gingen ins Wohnzimmer. Es war kurz vor halb vier. Was sollten wir tun? Linda wollte die Verwaltung anrufen, aber ich war dagegen, denn auch wenn dies eigentlich anonym geschah, die bei Lärmbelästigung ausrückenden Mitarbeiter also nicht weitergaben, wer angerufen und sich beschwert hatte, würde sie es natürlich begreifen, und so labil, wie sie offensichtlich war, würde es dann später sicher Ärger geben. Daraufhin schlug Linda vor, diesmal abzuwarten, dass es vorbeiging, und ihr am nächsten Tag einen freundlichen Brief zu schreiben, aus dem hervorging, dass wir beide Verständnis hätten und tolerant seien, eine solche Lautstärke mitten in der Nacht jedoch nicht akzeptabel sei. Linda legte sich mit ihrem voluminösen Bauch kurzatmig auf die Couch, ich legte mich ins Schlafzimmer, und eine Stunde später, als es schon auf fünf Uhr zuging, hörte die Musik endlich auf. Am nächsten Tag schrieb Linda den Brief und schob ihn durch den Briefschlitz, bevor wir am Vormittag das Haus verließen, und daraufhin blieb es bis sechs Uhr still, als plötzlich wüst gegen unsere Tür gehämmert und geklopft wurde. Es war die Russin. Ihr verbissenes, vom Alkohol aufgedunsenes Gesicht schäumte vor Wut. In ihrer Hand zerknüllte sie Lindas Brief.
    »Was zum Teufel soll das!«, rief sie. »Wie könnt ihr es wagen! In meinem eigenen Zuhause! Ihr werdet mir verdammt nochmal nicht vorschreiben, was ich in meinen eigenen vier Wänden mache!«
    »Das ist ein freundlicher Brief…«, sagte ich.
    »Mit dir rede ich nicht!«, sagte sie. »Ich will mit dem reden, der bei euch das Sagen hat!«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Du bist doch nicht Herr im eigenen Haus. Du wirst doch vor die Tür gejagt, wenn du eine rauchen willst. Stehst zum Gespött der Leute auf dem Hof. Meinst du, ich hätte dich nicht gesehen? Ich will mit ihr reden.«
    Sie trat einen Schritt vor und wollte an mir vorbei. Sie stank nach Schnaps.
    In meiner Brust hämmerte das Herz. Rasende Wut war das Einzige, wovor ich wirklich Angst hatte. Niemals gelang es mir, mich gegen das Gefühl der Schwäche zu wappnen, das sich dann in meinem ganzen Körper ausbreitete. Die Beine wurden weich, die Arme ebenso, meine Stimme zitterte. Aber das musste sie ja nicht merken.
    »Sie müssen schon mit mir sprechen«, sagte ich und trat einen Schritt auf sie zu.
    »Nein!«, sagte sie. »Sie hat den Brief geschrieben. Dann will ich auch mit ihr reden.«
    »Jetzt hören Sie mal«, erwiderte ich. »Sie haben mitten in der Nacht unheimlich laut Musik laufen lassen. Es war unmöglich, bei dem Lärm zu schlafen. Das können Sie einfach nicht tun. Das müssen Sie doch verstehen.«
    »Du, du sagst mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe!«
    »Nein, vielleicht nicht«, sagte ich. »Aber es gibt doch so etwas wie einen Hausfrieden. Dazu müssen alle, die hier wohnen, beitragen.«
    »Weißt du eigentlich, wie viel Miete ich zahle?«, sagte sie. »Fünfzehntausend Kronen! Ich wohne seit acht Jahren in diesem Haus. Es hat sich noch nie jemand über mich beschwert. Und dann kommt ihr. Ihr prächtigen kleinen Prachtmenschen. ›Ich bin übrigens schwaaanger.‹«
    Bei ihren letzten Worten machte sie eine kleine Pantomime von prächtigen Menschen, kniff den Mund zusammen und nickte mit dem Kopf. Ihre Haare waren zerzaust, die Haut bleich, die Wangen aufgedunsen, die Augen aufgerissen.
    Sie starrte mich mit ihrem feurigen Blick an. Ich schaute nach unten. Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging die Treppe hinunter.
    Ich schloss die Tür und drehte mich zu Linda um, die im Flur an der Wand stand.
    »Tja, das war ja wirklich schlau«, sagte ich.
    »Du denkst an den Brief?«, sagte sie.
    »Ja«,

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