L(i)ebenswert (German Edition)
hochgelagert. Lediglich ein leises Stöhnen bewies, dass er spürte, was mit ihm geschah. Ninosh hatte geweint, sein Gesicht war verquollen und noch nass von Tränen. Vermutlich war er darüber vor Erschöpfung eingeschlafen, worüber Geron froh war. Er wollte sich heute Nacht nicht mehr mit ihm auseinandersetzen müssen!
Zögernd deckte er ihn wieder zu. Eigentlich hätte er die Decke lieber für sich selbst behalten, die Nacht war kühl und der Boden trotz der wasserabweisenden Unterlage feucht. Geron wollte diesem Schwein nichts Gutes tun. Ihn nackt daliegen zu lassen wollte er allerdings noch viel weniger, aus Gründen, über die er besser nicht nachdachte. Es gab sowieso keine Hoffnung auf Schlaf und Ruhe, Ninosh würde schon bald von den Schmerzen geweckt werden. Natürlich könnte Geron zum Feldscher gehen und sich weiteren Schmerztrank holen. Es würde ihm für ein paar Stunden Frieden schenken.
Doch lieber nahm er Schlaflosigkeit hin, als seinem Feind die Qualen zu erleichtern.
Soll Gott mich dafür eben hassen …
Hier unten konnte Ninosh sich ungestört gehen lassen. Man hatte ihn in den Laderaum eines Transportschiffes geschleift, seine Arme mit dicken Stricken an die Bordwand gefesselt und ihn dann im Dunkeln allein gelassen. Im Lager hatte er sich dagegen gewehrt, seine Schwäche zu zeigen. Auch nach der grauenhaften ersten Nacht, auf die ein noch grauenhafter Tag gefolgt war. Geron hatte ihn gezwungen, seine Notdurft in einem Tonkrug zu erledigen, unter aufmerksamer Beobachtung und tatkräftiger Mithilfe des Bannerführers, der ihn anschließend gefesselt hatte. Dabei war Ninosh auch ohne Stricke praktisch bewegungsunfähig! Nur zum Essen war er losgebunden worden. Da ihm niemand half, er aus eigener Kraft kaum die Hand heben konnte und vor lauter Schmerzen keinen Hunger hatte, war die seltsame Pampe, die vermutlich Haferschleim sein sollte, unberührt geblieben. Schlimmer war das Trinken. Ninosh schloss innerlich stöhnend die Augen, als er sich an den furchtbaren Moment erinnerte, wo er gezwungen gewesen war, seinen Stolz zu vergessen und sich selbst zu entehren ...
Wann er das letzte Mal getrunken hatte, wusste Ninosh nicht mehr. Auf jeden Fall vor seinem Versuch, sich in Nadisland einzuschleichen. Während er im Regen fast ertrunken wäre, hatte er natürlich auch Flüssigkeit aufnehmen können, aber das hatte nicht gereicht und war schon wieder lange her. Ninosh fixierte das Tablett, das Geron vor ihm abgestellt hatte. Diesmal hatte er es sogar näher an ihn herangeschoben als heute Morgen, dafür allerdings auch nur Ninoshs rechte Hand befreit. Die linke blieb an seiner Hüfte gefesselt, die Knoten außer Reichweite für jemanden, der sowieso zu keiner Regung fähig war. Die Fesseln waren pure Grausamkeit, sonst nichts. Sie hinderten ihn, seine Haltung zu ändern, da er sich nicht mit den Händen abstützen konnte. Egal wie still er lag, er rutschte trotzdem immer wieder ein Stück von dem Sattel herab. Ninosh konnte nichts gegen den juckenden Verband tun, oder Gegendruck auf seine pochenden Rippen ausüben. Er konnte noch nicht einmal nach dem Wasserbecher greifen, der sich vielleicht eine Handbreit außer Reichweite befand. Sich noch einmal über den Boden zu rollen, dafür fehlte ihm die Kraft. Beim Frühstück hatte er es versucht und dabei die Hälfte des Wassers verschüttet, bevor er aufgegeben hatte.
Dabei hatte er solchen Durst … Seine ausgedörrte Kehle brannte. Sein gesamter Körper brannte. Ninosh hatte schon einiges an Schmerzen in seinem Leben ertragen müssen, doch das hier übertraf alles.
„Willst du dich zu Tode hungern?“
Geron war unbemerkt ins Zelt getreten und betrachtete missbilligend das unberührte Tablett.
Ninosh sparte sich die Antwort. Es war offensichtlich, dass er nicht essen konnte. Schließlich hatte er selbst beim Pinkeln Hilfe gebraucht. Eine demütigende Erfahrung, auf die er wirklich hätte verzichten können. Er wusste nicht, ob Geron ihn absichtlich mit Essen und Trinken knapp außer Reichweite folterte, vielleicht um seinen Willen zu brechen; oder ob er lediglich vor den Soldaten den Anschein bewahren wollte, den Gefangenen anständig zu behandeln. Vielleicht war es tatsächlich auch nur Gedankenlosigkeit und er bildete sich ein, dass Ninosh es schaffen könnte, wenn er wollte. Es war ihm gleichgültig.
Nicht gleichgültig war sein Durst. Als Geron das Tablett hochnahm, biss Ninosh sich auf Unterlippe, um sich am Protest zu hindern. Dennoch
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