Poison (German Edition)
1
Shahin
Freitag, irgendwann. Ich wache auf, blinzele und stelle fest, dass es draußen hell ist. Ein Blick auf meinen Wecker lässt mich erstarren, in der Hoffnung, der Wecker sei stehen geblieben. Sieben Uhr. Das Handy anscheinend auch – 19:00 Uhr. Und ich habe nichts im Haus, muss also einkaufen gehen ... – eine Stunde vor Geschäftsschluss. Und ich liege noch im Bett. Also aufstehen, duschen, anziehen, ausgehfertig machen – ich gehe doch nicht unfrisiert oder irgendwie mit Makel behaftet aus dem Haus! – und das Ganze in Rekordzeit. Andererseits, es war eine lange Nacht. Und eine Gute noch dazu. Finanziell gesehen, meine ich. Carlos war zwar nicht geplant, aber hey – er zahlt für das ganz normale Programm mit mir 1.000 Euro und geht meistens nach zwei Stunden. Meistens, wohlgemerkt, gestern nicht. Gestern hat er sich über seinen Freund geärgert und war frustriert. Gut, dass er zu mir gekommen ist – ich biete etwas mehr als die meisten Kollegen. Eine auflockernde Massage, etwas Tee – meine Spezialmischung, aphrodisierend, versteht sich – dann ein paar heiße Küsse (vorausgesetzt, der Kunde ist mir sympathisch und bekommt von mir »Gefühl« dazu), um die Leidenschaft zu wecken, und dann langen, ausdauernden Sex in ziemlich vielen Stellungen. Und Carlos ist ein guter Kunde. Er ist circa alle vier Wochen geschäftlich in Berlin und bucht mich dann meist ein- oder zweimal für sein Vergnügen. Das tut er schon richtig lange. Ich kenne Carlos aus Heidelberg, wo ich früher gewohnt und gearbeitet habe. Da hatten wir allerdings öfter Dates – von Stuttgart nach Heidelberg ist es nicht so weit wie nach Berlin, weswegen wir uns jetzt seltener sehen können – aber ich kann damit leben, auch in Berlin gibt es genügend Männer, die Leute wie mich kaufen wollen – und vielleicht ein, zwei Prozent davon sind für mich interessant und umgekehrt.
Wie dem auch sei, ich bin gerade noch rechtzeitig fertig geworden und verlasse nun das Haus in Richtung U-Bahn-Station. Warum ich nicht in Steglitz einkaufe? Das hat mehrere Gründe. Einerseits, weil die Menschen hier anders sind als in Mitte. Konservativer, vorurteilsbeladener, aber auch trockener. Sie haben nicht viel Sinn für Ästhetik. Sie denken »Schwuchtel«, vielleicht beneiden sie mich heimlich für mein perfektes Aussehen, manche Frauen himmeln mich geradezu an, aber sie verstehen nicht, dass ich mein Leben genauso leben muss wie sie, und dass ich gerne einkaufe, ohne mir ihre bösen Gedanken wegen meiner Perfektion anhören zu müssen. Sie brauchen doch bloß sorgfältiger mit ihrem Körper umzugehen. Ach ja, Gedanken ... ich verstehe es selbst nicht so ganz. Manchmal höre oder spüre ich, was ein Mensch denkt. Nicht immer, aber manchmal. Keine Ahnung, woher das kommt.
Ich steige also in die U9 und fahre zum Wittenbergplatz, stürme in Kaiser’s – gerade noch rechtzeitig um zehn vor acht – und fange an, ein paar Sachen fürs Wochenende einzuladen. Was man halt so braucht, Brot, Konfitüre, Käse, Salat, Joghurt fürs Dressing, ach ja, und Flüssigseife. Am Regal mit den Drogerieartikeln bleibe ich stehen und schaue mich um – ein Reflex?
Ein Typ steht vor dem Regal mit den Kondomen und schaut sich verschiedene Packungen an, kann sich scheinbar nicht entscheiden. In Gedanken pfeife ich leise durch die Zähne. Was für ein Mann! Groß, sportlich, definierter Körper, ein schönes Gesicht, lässiger Anzug – genau mein Typ. Mhm, mal schauen, was sich machen lässt. Wie zufällig komme ich näher. Bevor ich ihm jedoch eine Sorte empfehlen kann, dreht er sich um, schaut in meine Richtung und sofort wieder weg. »Merde«, denke ich. Kein Interesse in seinen Augen, nicht einmal ein Blinzeln in meine Richtung. »Vielleicht hetero«, versuche ich meine Enttäuschung zu kaschieren, »aber süß«. Ich schiebe meinen Wagen an ihm vorbei zur Kasse, zahle und gehe. Weil ich dann wieder in meinen Gedanken versinke, bemerke ich nicht, dass mir der Typ von eben aufmerksam hinterherschaut.
2
Shahin
Endlich bin ich zu Hause. Ich räume eher unwillig meinen Kühlschrank ein, während meine Gedanken immer wieder an dem süßen Mann aus dem Laden hängen bleiben, und seufze wehmütig. Dann lasse ich mir ein Bad mit Rosenblättern, Vanilleextrakt und Lilienblüten ein, das nicht nur gut für die Haut ist, sondern auch wahnsinnig entspannend wirkt, zumindest bei mir.
Während ich im Bad relaxe, wandern meine Gedanken immer und immer wieder zu dem
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