Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn
kommen. Ich flog hin, und wir unterhielten uns. Man war sehr zufrieden mit meiner Arbeit und bot mir an, mein Vertretungsgebiet auf Neuseeland und Südostasien auszuweiten. Zusätzlich sollte mein Gehalt um ein Vielfaches aufgestockt werden. Ich fiel aus allen Wolken, als ich das hörte. Auf diese Weise könnte ich viele neue, exotische Länder bereisen, und selbstverständlich ging der Job mit Leistungsanreizen einher, die es mir fast unmöglich machten, die Stelle abzulehnen: Flüge erster Klasse, Übernachtungen in Fünfsternehotels, eine Luxusvilla im privilegiertesten Wohngebiet Sydneys, ein schicker Dienstwagen, den ich auch privat nutzen konnte, und alle möglichen anderen Vergünstigungen, die ein Geschäftsführer eben so bekommt. Ich war dreißig Jahre alt, jeder würde mich dazu beglückwünschen oder mich beneiden, dass ich die Karriereleiter in meiner kurzen Berufslaufbahn so schnell »hinaufgefallen« war. Doch mir ging es vornehmlich darum, dass ich auf den Philippinen, in Vietnam und Japan surfen und endlich meinen Traum wahrmachen könnte, überall auf der Welt die besten Surfplätze kennenzulernen!
Leider musste ich bald feststellen, dass es ein großer Fehler war, diese Stelle anzunehmen. Damals merkte ich aber nicht, dass ich freiwillig in einen goldenen Käfig gestiegen war und fast das wertvollste Geschenk des Lebens verloren hatte: Zeit, um das Leben zu genießen.
die schlimmste Finsternis ist nicht die, die uns die Sicht raubt und uns blind macht, sondern die, die in den verborgensten Winkeln unseres Herzens wohnt. Auch das strahlendste Licht kommt nicht von der Sonne, sondern aus der Tiefe unseres Herzens, und es leuchtet warm aus unseren Augen. Möge dieses Licht Dir bei der Erfüllung Deiner Bestimmung den Weg weisen.
Manche Menschen sind etwas Besonderes, weil sie außergewöhnliche Fähigkeiten haben. Doch das sind nicht immer die glücklichsten Menschen. Glücklich sind vielmehr die, die der Stimme ihres Herzens folgen. Darum liebe Dich selbst so, wie Du bist, und vergleiche Dich niemals mit anderen; dazu bist Du nicht auf dieser Welt. Lerne mit Deinen Stärken und Schwächen umzugehen und verwandle Dein Leben in eine heitere, wohlklingende Melodie, die Deine Seele erfüllt. Suche das Licht in Deinem Inneren. Doch um richtig glücklich zu werden, muss man manchmal auch tapfer sein. Darum zähle nicht Deine Fehler und Missgeschicke, zähle die Segnungen, die Du erhältst, und hilf anderen, die ihre eigene Hölle durchleben müssen; das ist unsere Menschenpflicht. Wir müssen an andere weitergeben, was wir selbst schon gelernt haben. Also sage ich Dir: Mach immer weiter, Daniel, auch wenn es Dich schmerzt.
Denn wenn Du bereit bist, auch schwere Entscheidungen zu treffen, wird Dein Unglück irgendwann ein Ende haben. Und wie kann man strahlen, wenn man nicht durch die Finsternis dringt? Es erfordert viel Mühe und Arbeit, die Seele zu stärken, aber Du wirst danach feststellen, dass Deine Trauer nur eine zarte Luftblase ist. Niemand sollte sich seine Fehler vorwerfen. Sich selbst zu verzeihen heißt, Frieden mit der Welt zu schließen.
Du allein bestimmst Dein Schicksal.
XII
Am Anfang war ich wirklich glücklich mit meiner neuen Stelle und wollte weiter Karriere machen.
Mein Gehalt war phänomenal. Zudem bezahlte die Firma die Miete für meine Villa hoch über dem Meer im Norden der Stadt, ich hatte einen Parkplatz in der Tiefgarage eines Hochhauses im Finanzdistrikt Sydneys, und ich fuhr keinen alten Ford mehr, sondern einen teuren Lexus – alles auf Kosten der Firma. Und die absolute Krönung: eine goldene Rolex, ein vornehmer Mont-Blanc-Füllfederhalter und ein Ausweis von Qantas, mit dem ich Zutritt zu den VIP-Lounges auf allen Flughäfen der Welt hatte. Und natürlich flog ich nur noch erster Klasse – nur wenn es nicht anders ging, gab ich mich mit der Businessclass zufrieden.
Mein erster Auftrag führte mich nach Thailand. Ein Industriemagnat wollte mit unserer Hilfe dort mehrere Stahlwerke errichten lassen.
Ich wartete in der Qantas-Lounge, in einem nigelnagelneuen Anzug von Armani, und ging die Unterlagen durch, die ich in Sydney für meine Präsentation in Thailand vorbereitet hatte.
Ich bemerkte sofort, dass die meisten Leute in der Lounge Führungskräfte waren, die sich in die Financial Times oder das Wall Street Journal vertieften. An den Wänden hingen Großbildschirme, wo Nachrichtenbänder mit den Aktienkursen von allen wichtigen Börsen der Welt
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