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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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würden sie unweigerlich hinter den Kastanien am Rande des Angers ein großes Haus erkennen, daran eine grob gezimmerte Holzterrasse, fünf Stufen hoch, mit einem Geländer rundherum, ähnlich den Veranden in den alten Schwarz-Weiß-Wildwestfilmen. Sie würden, sich der Terrasse nähernd, ein Fenster erkennen, eine kleine Auslage mit allerhand Waren, einen
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-Zeitungs-Werbereiter neben der Eingangstür mit den Blümchenglasscheiben. Sowie ein blechernes Schild, auf dem Industrie-Speiseeis angepriesen würde. Sie würden einander zurufen: «Ach, da ist ein Laden, lass mal gucken!» Und wenn sie dies sehr genau in die Tat umsetzen würden, das Gucken, was wir hiermit annehmen, hätten sie die Chance, am oberen Balken des Ladeneingangs eine fast verblasste Schrift entziffern zu können, die in altmodischen Buchstaben verkündet: «Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht.»
    Es darf des Weiteren angenommen werden, die Besucher kämen just zu der Zeit, wo der Laden gerade offen hätte, also zur Öffnungszeit, und auf der Terrasse stünden drei Amerikaner, teils locker an die Hauswand gelehnt, teils sich mit den Ellenbogen schwer auf das Geländer stützend. Und die drei würden in jener vertrauten Gemeinsamkeit, die nur zwischen Menschen entsteht, die sich sehr, sehr lange kennen und viele, viele gute und schlimme Zeiten miteinander überstanden haben, als Nachbarn in diesem Amerika, wo jeder jeden kennt, weil es nur zweihundert Seelen zählt, in dieser Vertrautheit also würden die drei Ur-Amerikaner ihr Feierabend-Bierchen zischen, direkt aus den Flaschen.
    Es ist durchaus möglich, dass es genau so wäre, wenn, wie gesagt, die Besucher just zu jener rechten Zeit kämen, in der es eben wirklich so wäre, wie wir ja eigentlich soeben nur angenommen haben.
    In diesem Falle würden die Besucher, um in den Laden zu gelangen, zu den dreien auf die Terrasse steigen müssen, und dabei könnten sie nicht umhin zu bemerken, dass diesem einen da, also dem mit der gedrungenen Figur und dem roten Bluthochdruck-Gesicht, dass diesem einen schneeweißes dünnes Babyflaumhaar um sein beeindruckendes Haupt mäandern würde, sich in alle Himmelsrichtungen immer wieder neu formierend, je nach Windhauch oder Kopfbewegung, wie das Gespinst von mystischen Seidenraupen.
    «Ach, wat seid ihr denn für welche? Buletten, wa?», würde er mit schrill-lauter Stimme die Besucher willkommen heißen, worauf diese verdutzt verharren würden, nicht wissend, ob dies ein Scherz oder eine Beleidigung gewesen sei, und ehe sie zu einem Schluss kommen könnten, würde der Rotköpfige lauthals zu dem neben ihm stehenden Hünen, an dem alles rund wäre, runder Körper, rundes Gesicht mit runden Wangen und runden Äuglein, sogar die Ohren würden irgendwie rund wirken, zu diesem Riesen also würde der Rotköpfige rüberquäken: «Was sagt man denn dazu, Teddy, wa? Kommen hier angeschlurft und sagen keinen Ton, wa, nicht guten Abend, nicht wer sie sind, gar nichts, wa, Teddy?»
    Worauf der Riese ein verlegen-gutmütiges Lächeln zu den Besuchern schicken und an den Rotgesichtigen gewandt sagen würde: «Mensch, Krüpki, nu lass doch man jut sein. Was tust du denn immer alle anbrüllen, als wie ob es deine Gäule sind?» Der, den Teddy gerade Krüpki genannt hätte, würde sich empört an die Besucher wenden, mit seinen dicken Fingern zuerst den weißen Babyflaum auf seinem Kopf mit einer Streichbewegung zu ordnen versuchen und dann auf Teddy deuten: «Was sagt man denn dazu, fällt mir der Große voll in ’n Rücken, wa? Dabei wollt ich euch Buletten nur ein wenig Zivilisation beibringen, wa? Scheint ja bei euch in der Stadt völlig in die Binsen gegangen zu sein! Bei uns macht man nämlich die Fresse auf, pardon, den Mund, wenn man wo dazu kommt. Und ich sag euch auch gerne den Text vor, falls ihr ihn nicht kennt: ‹Guten Abend›, ist so ’ne Variante, die hier in Amerika gerne genommen wird, wa, Teddy?» Krüpki würde einatmen und gespannt auf die Reaktion der Besucher warten, die, vor lauter Angst, er könnte gleich wieder loslegen, da er seine Lungen ja schon vorsorglich bestens gefüllt hatte, versuchen würden, mit eingezogenen Köpfen an den Männern vorbei in den Laden zu fliehen. Dies könnten sie aber nur, indem sie sich in eine für Städter erschreckend intime Nähe begeben müssten zu einem neben der Blümchenglastür an der Wand lehnenden dritten Amerikaner. Der Plan, grußlos, mit lebenslang in städtischer Anonymität eingeübter

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