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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Rollen den Motor aus und ließ sämtliche Scheiben runter. Wiesenduft flutete in meine Blechzelle. Ich überließ es dem Zufall – oder den physikalischen Gesetzen von Tempo, Trägheit und Rollwiderstand –, jene Stelle des Weges zu bestimmen, an der mein Fahrzeug zum Stehen kommen würde. Gemächlich rollte der Wagen aus: Mofa-Tempo – Fahrradtempo – Lauftempo – Schritttempo – Stillstand.
    Ich regte mich nicht. Ließ das seltene Gefühl der Tatenlosigkeit auf mich wirken. Nichts tun. Nichts denken. Nichts müssen. Nichts wollen, als einfach nur da sein und schnaufen. An diesem winzigen, vom Zufall bestimmten Punkt im Universum.
    Friede.
    In den Augenwinkeln registrierte ich zu meiner Linken eine kurze Bewegung in der Wiese. Ich wandte den Blick dorthin. Nichts. Nachwehen der Stadthektik?, dachte ich. Drehte den Kopf wieder nach vorn Richtung Amerika. Schloss halb die Augen. Da, wieder. Da war doch etwas. Doch ich sah nur Gras, die wellenförmige Bewegung des Windes im den schimmernden Halmen. Aber doch: dort! Etwa dreißig Meter entfernt. Ein Kopf tauchte auf, die spitzen Dreiecke zweier Ohren, ein rostbraun-pelziges Gesicht mit dunklen Augen, eine weiße Schnauze. Ein Fuchs! Konzentriert äugte er zu mir herüber. Wie gut sieht ein Fuchs?, fragte ich mich. Erkennt er nur die weiße Fläche des Autos oder registriert er, dass ein Wesen darin sitzt? Bestimmt sieht er mein Gesicht. Ich bereute, die getönte Scheibe heruntergelassen zu haben. Sieht er scharf genug, meine Pupillen erkennen zu können? Weiß er, dass mein Blick auf ihn gerichtet ist? Spürt er es nur, instinktiv?
    Ich verharrte, bewegte mich keinen Millimeter. Er auch nicht. Nach gefühlten Minuten entschied er: Keine Gefahr, bloß eines dieser Blechdinger, die das Asphaltband niemals verlassen. Der Fuchs wandte sich ab, schnürte ein paar Meter in meine Richtung. Und jetzt – jetzt war er plötzlich in putziger Gesellschaft. Drei Fellknäuel von etwas blasserem Rostrot wurden sichtbar. Offenbar hatten sich die Welpen in eine Bodenwelle geduckt und kamen jetzt, vielleicht auf ein geheimes Zeichen hin, einer Entwarnung ihrer Mutter, hinter ihr her. Noch nie hatte ich eine Füchsin mit Welpen in freier Natur beobachten können. Und nun präsentierte sich mir diese Familie wie ein Geschenk. Wäre ich vorhin nur eine Sekunde früher oder später vom Gas gegangen, hätte ich abgebremst, statt das Fahrzeug ausrollen zu lassen, ich wäre an einer anderen Stelle zum Stehen gekommen und die Fuchsfamilie wäre mir verborgen geblieben. Zufall? Fügung? Fügung, klar!, entschied ich. Etwas hatte bestimmt, dass mir dieses Schauspiel geboten werden soll, da war ich mir seltsam sicher. Ich wurde von einem diffusen Gefühl erfasst, das vielleicht gläubige Menschen in Gotteshäusern empfinden: Mir wurde andächtig. Und da legte Mutter Natur in ihrer Fuchs-Family-Show noch ein Bonus-Programm obendrauf: Die Füchsin legte sich ins Gras, die Jungen gruppierten sich um sie, und ein tapsig-drolliges Fangspiel begann. Eine wilde Jagd um die Fähe herum. Die Welpen duckten sich hinter ihre Mutter, überfielen die Geschwister aus diesem Hinterhalt mit kühnen, wenngleich noch ungeschickten Sprüngen, rannten einander hinterher, balgten sich kurz und versteckten sich wieder hinter Mama, damit das Spiel von Neuem beginnen konnte. Mein andächtiges Gefühl wandelte sich in das Glück eines reich Beschenkten.
    Aber leider war ich nicht allein auf der Welt mit «meinen» Füchschen. Von vorn sah ich schon das unweigerliche Ende des seltenen Schauspiels heranbrausen. In hohem Tempo näherte sich vom Dorf her ein petrolgrüner Geländewagen. Schon kreuzte er mich penetrant nah, Wuschhhh, der Luftzug ließ den Jeep kurz zu Seite wippen.
    Die Füchse waren weg. Klar. Warum musste der auch so rasen, verdammt? Schade. Na ja, schön war’s trotzdem! Nur viel zu kurz … Ich wollte schon den Zündschlüssel drehen, da überraschten mich die Welpen. Drei kleine Köpfe spähten aus dem Gras in Richtung Wald, in welchen der Petrolgrüne gerade eintauchte. Wo war ihre Mutter? Seltsam. Die wird doch nicht … Da, mit einem Riesensatz war sie wie aus dem Nichts plötzlich über ihnen. Knurrte sie an. Schimpfte sie. Wohl, weil sie ohne Erlaubnis die Deckung aufgegeben hatten? Die Familie setzte sich in Bewegung, trabte wieder ein paar Meter in die Wiese hinein. Doch die Welpen waren nun mal in Spiellaune, wollten balgen, nicht hinter Mama herlaufen. Die Fähe ließ sie gewähren,

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