Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
Vom Netzwerk:
Nonchalance einfach an ihm vorbei in den Laden zu wischen, der ginge nicht auf, das würden die Fremden in brutaler Klarheit erkennen, denn dieser Mann mit den schweren Schuhen und dem grauen Arbeitskittel würde sie mit wachen Koboldaugen unter seinem schmalkrempigen schwarzen Lederhütchen hervor prüfend mustern, und in seinem braun gebrannten, furchigen Gesicht würde sich ein wissendes Grinsen breitmachen. Also würden die Besucher im Vorbeiwischen das tun, was für viele Metropolisten derart undenkbar ist, dass sie es lieber erst gar nicht wagen, nach Brandenburg hinauszufahren, sie würden nämlich zwischenmenschlichen Kontakt aufnehmen mit einem Brandenburger! In diesem Falle sogar mit einem Amerikaner, indem sie sein Grinsen mit einem unsicheren Lächeln quittieren und sagen, nein, eher murmeln würden: «Guten Tag.»
    «Tach och», würde der Mann mit dem Hütchen erwidern.
    Krüpki würde schreien: «Na, geht doch!»
    Teddy würde bemerken: «Dir tun se grüßen, Müsebeck, weil de von uns der Einzigste bist, der wo ein Hut aufhat.»
    Der als Müsebeck Angesprochene mit dem Lederhütchen aber würde darauf nicht weiter eingehen, sondern ein wenig, aber wirklich nur ein wenig von der Tür abrückend die Besucher an sich vorbeiziehen lassen, in den Laden hinein. Und indem diese die Ladentür von innen wieder zuzögen, würden sie noch sehen, wie Müsebeck lässig mit dem Finger an sein Hütchen tippte und dann weg wäre hinter dem ins Schloss fallenden Blümchenglas. In die undefinierbar duftende, schummrig-halbdunkle Atmosphäre des Ladens eingetaucht, würden die Besucher sofort bemerken, dass dies kein Geschäft ist, das man einfach so betritt – wie einen Supermarkt. Sie würden spüren, dies ist ein eigenes Universum, das sich über Jahrzehnte aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage herauskristallisiert hat. Und sie würden auch die alles bestimmende Göttin dieses Universums erblicken, welche links neben dem Eingang hinter einem Resopalwändchen thronte, neben einer altertümlichen Registrierkasse, die in ihrem dunkelgrünen Bakelitpanzer an eine lauernde Kröte erinnern würde. Die Ladenbesitzerin selbst wäre in eine dieser fleckneutral gemusterten, fleckabweisenden Kleiderschürzen gehüllt, die wohl irgendein Frauenhasser in den siebziger Jahren erfunden hat. Im scharfen Kontrast zur Kittelschürze und dem leicht indignierten Blick, weil da schon wieder Kundschaft die Ruhe des Ladens stört, würde sich auf dem Kopf der Frau ein beeindruckendes Frisurgebilde türmen in grellem Hellblond.
    «Gu-ten Taaaag», würde die Frau sagen, ihren millionenfach wiederholten Gruß fast singend, und die Besucher würden ebenfalls «Guten Tag» sagen, ahnend, dass es nicht gewiss war, ob dieser «Taaaag» wirklich gut würde. Und weil die Ladenfrau nichts weiter fragen, sondern nur stumm die Besucher angucken würde, und zwar so, wie nur jemand guckt, der sogar in einen Atomblitz sehen kann, ohne Schaden zu nehmen, weil also von der Ladenfrau keine weitere Kommunikation angeboten würde, wären die Besucher gezwungen zu sagen, sie hätten Hunger und Durst. Und nachdem die Ladenfrau diese Aussage ohne die geringste Reaktion zur Kenntnis genommen hätte, würden sie des Weiteren gezwungen sein zu fragen, was es denn so gäbe. Woraufhin die Frau mit ihrer Hand, an welcher grellrot, ja fast orange lackierte Fingernägel in der diffus neonbeleuchteten Düsternis des Ladens aufblitzen würden, mit großer Geste über das Sortiment deuten würde. Ein Sortiment, das typisch wäre für Läden, wie man sie früher, im Westen, als Tante-Emma-Läden bezeichnet hat, und die im Osten noch immer Konsum heißen, mit Betonung auf dem «o». Und die Frau würde sagen: «Was
Sie
brauchen, hab ich. Sogar Frischmilch.»
    Und nach einer längeren Weile würden die Besucher, leicht enttäuscht, dass das Angebot des Ladens nicht ganz den Gourmetabteilungen der Metropolen-Warenhäuser entspricht, wieder auf die Terrasse treten, mit vollen Plaste-Einkaufstüten. Sie würden an Müsebeck, Teddy und Krüpki vorbeitrippeln, würden ein erleichtertes «Tschühüs» flöten, und Krüpki würde fragen: «Na, habt ihr alles?» Müsebeck würde nur wissend grinsen, und Teddy würde brummen: «Haut rinn.» Die Besucher aber würden recht rasch die Stufen von der Terrasse hinabsteigen, sich, unten angekommen, halb zu Teddy umdrehen und «Danke» sagen, vielleicht würden sie sogar, jetzt, wo sie die Begegnung mit echten Amerikanern

Weitere Kostenlose Bücher