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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Kaffeetassen unterzugehen drohte. Sie wirkte trotz allem keineswegs wie eine Frau, die nicht mehr weiterweiß. Sie tummelte sich in diesem Papierozean, den sie «Auslege-Ordnung» nennt, wie ein Delfin in der Bugwelle eines Luxusdampfers.
    Realistisch muss ein Bauer, der Tiere züchtet, und zwar biologisch, ökonomisch und artgerecht, bei dem alles kontrolliert, überwacht, rapportiert und instruiert wird, ein solcher Bauer muss pro Mannstunde auf dem Hof mit vier bis fünf Mannstunden im Büro rechnen. Früher brauchte es Knechte und Mägde, heute sind es Buchhalter, Steuerberater, Tierbestandsmanager, Software-Spezialisten, Behörden-Mediatoren und Marketingstrategen, die das Überleben eines Bauernhofs in den Bereich des realistisch Hoffbaren wuchten. Früher waren kleine Bauern, die sich keine Knechte und Mägde leisten konnten, dann eben notgedrungen ihre eigenen Knechte und Mägde, und so war Sonja als heutige Kleinbäuerin eben notgedrungen ihre eigene Buchhalterin, Steuerberaterin, Tierbestandsmanagerin, Software-Spezialistin, Behörden-Mediatorin und Marketingstrategin.
    Ich fläzte mich demonstrativ in das kleine Sofa, das vor dem Regal mit den Tonnen von Aktenordnern stand, und stöhnte genüsslich: «Aaaach, ist das herrlich!» Keine Reaktion von Sonja. Sie starrte konzentriert auf irgendeine Liste und übertrug Zahlen in irgendeine andere Liste in ihrem Computer. Ich legte nach: «Wunder-, wunder-, wunderbar ist das! Also, sooooo schöööön!» Ich räkelte mich wie ein satter Kater auf seinem Lieblingskissen. Schade, Sonja registrierte es nicht einmal. Ihre Augen wanderten flink hin und her zwischen Liste und Liste. Unbeirrt gab sie weiterhin den Papierozean-Delfin.
    «Sonjaaaa», rief ich.
    «Hm?» Nur dieses «Hm», keinerlei weitere physische Reaktion, flinke Augen auf Zahlen, konzentrierter Gesichtsausdruck. Eine lange, dunkle Haarsträhne baumelte vor ihrem Gesicht, wohl gleichfalls im Versuch, diese Frau aus ihrem Zahlenuniversum herauszulocken. Ebenso erfolglos wie ich: Sonjas Augen blickten einfach durch die Strähne hindurch.
    «Sonja, ich sagte, es sei einfach herrlich, wunderbar, schön!»
    «Mhm.»
    « MHM ?», rief ich so laut, wie man «mhm» eben rufen kann, was nicht besonders laut ist. Aber es reichte aus, Sonjas Augen von den Zahlen loszureißen und ihren Blick in meine Richtung zu zwingen.
    «Wie meinen?», fragte sie und blies die Haarsträhne aus dem Gesicht.
    «War das ein Mhm wie Finde-ich-auch oder war das ein Was-meinst-du-damit-Mhm?»
    «Das war ein Ich-muss-mich-gerade-konzentrieren-Mhm.»
    «Oh», machte ich.
    «Mhm», machte Sonja, und ich staunte, wie vielseitig einsetzbar so ein kleines Mhm doch sein konnte.
    «Das war jetzt das legendäre Endlich-hast-du’s-kapiert
-
Mhm», mutmaßte ich, und erhielt exakt die Antwort, die zu erwarten war:
    «Mhm.»
    «Ah, gleich noch so eins», freute ich mich. «Toll!»
    «Also, was ist los?», fragte Sonja, nahm die Hände von der Computertastatur und drehte ihren Oberkörper in meine Richtung.
    «Nichts Wichtiges», meinte ich. «Ich fand es nur gerade ganz toll und wunderbar und dachte, ich teil’s mal mit.»
    «Schön, und was?
    «Na, dass ich es wunderbar finde.»
    «Ja, schön, aber was?»
    «Was ich wunderbar finde? Ich finde es wunderbar, dass ich mit allem fertig bin. Alles gemacht, erledigt, abgeschlossen. Tageswerk vollbracht. Obwohl wir’s erst 13  Uhr  12 haben. Alles ist gut, und ich habe Freizeit.»
    «Hm. Hmmmmm!», machte Sonja, sie schien eine Vorliebe für das «M» entdeckt zu haben. «Tja, dann könntest du doch in deiner Freizeit Lust haben, all die Dinge zu tun …»
    «… ich hab doch alles getan», unterbrach ich sie. «Da ist nichts mehr zu tun!»
    «… all die Dinge zu tun, die du so gern verdrängst.»
    BINGO ! Während ich mit eiserner Schauspielerdisziplin meinem Gesicht befahl, sich in Mimik No.  134 («Verständnislos gucken») zu verziehen und dann einzufrieren, jubelte mein Herz innerlich: Meine Frau hatte angebissen! Gleich würde sie mir verraten, was ich verdrängte, und mir damit helfen, das nunmehr der Verdrängung Entrissene mit dem zu verdrängenden Hürlimann-Problem zu verknüpfen, auf dass das ganze Paket gesamthaft wieder der Verdrängung überantwortet werden könnte. Für immer.
    «Ich? Ich verdränge? Ich kenne keinen Menschen, der weniger verdrängt als ich. Wie kommst du darauf, ich wäre ein Verdränger, das ist ja schon fast beleidigend, hör mal, also wenn ich nicht so

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