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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
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mißbilligt alkoholische Eltern, aber über irrsinnige Eltern gerät er einfach außer Rand und Band.
    Unter uns: ich glaube nicht, daß irgend etwas an der Vererbung ist, vorausgesetzt, daß man die Babys wegschnappt, bevor ihnen die Augen aufgehen. Wir haben den sonnigsten kleinen Kerl, den Du Dir vorstellen kannst; seine Mutter und Tante Ruth und Onkel Silas sind alle im Wahnsinn gestorben; aber er ist so gelassen und unerregbar wie eine Kuh.
    Adieu, meine Liebe. Es tut mir leid, daß dies kein vergnüglicher Brief ist, obwohl im Augenblick gerade nichts Unangenehmes zu passieren scheint. Es ist elf Uhr, und ich habe gerade den Kopf in den Gang gesteckt. Es ist alles ruhig, abgesehen von zwei hin und her schlagenden Fensterläden und rinnenden Dachrinnen. Ich habe Jane versprochen, um zehn ins Bett zu gehen.
    Djüs ok, un lat ji dat got gan.
    Sallie.

    PS. Inmitten meiner Mühsalen gibt’s eines, wofür ich dankbar sein muß: der ehrenwerte Cy liegt mit einem hartnäckigen Grippeanfall danieder. In einer Anwandlung der Dankbarkeit sandte ich ihm einen Veilchenstrauß.
    PS. 2. Wir haben eine Epidemie von Augenentzündungen.

16. Mai.
    Guten Morgen, meine liebe Judy!
    Drei Tage Sonnenschein, und das J.G.H. lächelt.
    Meine dringendsten Sorgen werde ich los. Die widerlichen Decken sind endlich trocken, und unsere Lager sind wieder bewohnbar. Die Böden sind mit Holzplatten belegt worden, die Dächer mit Dachpappe (Mr. Witherspoon nennt sie Hühnerhäuser). Wir bauen einen ausgemauerten Graben von dem Plateau, wo die Hütten stehen, zum Maisfeld weiter unten. Die Indianer sind zum Leben der Wilden zurückgekehrt, und ihr Häuptling ist wieder auf seinem Posten.
    Der Doktor und ich haben Loretta Higgins Nerven unsere sorgfältigste Aufmerksamkeit geschenkt. Wir glauben, daß unser Kasernendasein mit seiner dauernden Bewegung und Unruhe für sie zu aufregend ist, und haben beschlossen, daß es das beste sei, sie bei einer privaten Familie in Pension zu geben, wo man sich dauernd um sie kümmert.
    Der Doktor hat, mit seiner bekannten Findigkeit, die Familie aufgetrieben. Sie wohnen neben ihm und sind sehr nette Leute; ich bin gerade von einem Besuch bei ihnen zurückgekommen. Der Mann ist Vorarbeiter in der Gußabteilung des Eisenwerks, und die Frau ist eine gemütliche Seele, an der alles mitwackelt, wenn sie lacht. Sie leben meistens in der Küche, um ihren Salon sauber zu halten; aber es ist eine so erfreuliche Küche, daß ich gern selbst drin leben würde. Sie bat an den Fenstern Begonien in Töpfen, und auf dem Fleckerlteppich vor dem Herd schläft eine hübsche, getigerte Katze. Sie bäckt am Samstag — Plätzchen und Schmalzgebackenes und Ingwerkuchen. Ich habe vor, Loretta meinen allwöchentlichen Besuch am Samstagvormittag um 11 Uhr abzustatten. Offenbar habe ich auf Mrs. Wilson einen ebenso guten Eindruck gemacht wie sie auf mich. Nachdem ich fort war, vertraute sie dem Doktor an, daß ich ihr gefalle, weil ich ebenso gewöhnlich bin wie sie.
    Loretta soll die Hausarbeit lernen und selbst einen kleinen Garten haben und viel im Freien in der Sonne spielen. Sie soll früh ins Bett gehen und mit gutem, nahrhaftem Essen aufgepäppelt werden, und sie sollen sie ein wenig verwöhnen und glücklich machen. Und das alles für drei Dollar die Woche!
    Warum nicht einhundert solche Familien finden und die Kinder in Pension geben? Dann könnte dies Gebäude in ein Irrenhaus verwandelt werden, und ich, die ich von Irren nichts verstehe, könnte mit gutem Gewissen auch nach Hause gehen und bis zum Erde meiner Tage glücklich leben.
    Wirklich, Judy, ich bekomme es allmählich mit der Angst. Diese Anstalt verschlingt mich, wenn ich lange genug bleibe. Ich interessiere mich schon so dafür, daß ich von nichts anderem mehr denken oder reden kann. Du und Jervis, Ihr habt meine ganzen Lebensaussichten ruiniert.
    Stell Dir vor, ich trete zurück und heirate und habe eme Familie. So wie Familien heutzutage ausfallen, könnte ich höchstens auf fünf bis sechs Kinder hoffen, alle mit derselben Erbanlage. Aber, du lieber Himmel, so eine Familie erscheint mir vollkommen unbedeutend und eintönig. Ihr habt mich ver-institutet.
    Vorwurfsvollst Eure
    Sallie McBride.

    PS. Wir haben bier ein Kind, dessen Vater gelyncht wurde. Ist das nicht eine pikante Einzelheit in einer Familiengeschichte?

    Dienstag.
    Liebste Judy!
    Was sollen wir tun? Mamie Prout mag keine Zwetschgen. Diese Abneigung gegen ein billiges und gesundes Nahrungsmittel

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