Lieber Feind
ein paar Fotos. Erinnerst Du Dich, wieviele Antworten die Seeluftleute mit dem Bild vom „Lächelnden Joe“ bekamen? Ich kann ebenso berückende Porträts von der lachenden Lou, der glucksenden Gertrud und dem kickenden Karl liefern, wenn Du nur den literarischen Teil dazutust.
Und suche mir doch ein paar Mutige, die keine Angst vor Vererbung haben. Dieses Verlangen, daß jedes Kind von einer der ersten Familien Virginias abstammt, wird nachgerade langweilig.
Wie gewöhnlich, Deine Sallie.
Freitag.
Meine liebe, liebe Judy!
Was für ein Aufruhr! Ich habe die Köchin entlassen, und die Haushälterin, und unserer Grammatiklehrerin beigebracht, daß sie nächstes Jahr nicht zurückzukommen braucht. Aber, ach! wenn ich nur den ehrenwerten Cy entlassen könnte!
Ich muß Dir erzählen, was diesen Morgen passiert ist. Unser Aufsichtsrat, der eine gefährliche Krankheit hatte, ist nun wieder gefährlich gesund und schaute herein, um einen nachbarlichen Besuch zu machen. Punch saß auf einem Teppich in meiner Bibliothek und spielte tugendsam mit Bauklötzen. Ich trenne ihn von den übrigen Kindergartenkindern und versuche bei ihm die Montessori-Methode eines privaten Teppichs, ohne nervöse Ablenkung. Ich schmeichelte mir, Erfolg zu haben. Sein Wortschatz war neuerdings geradezu prüde geworden. Nach einem flüchtigen Besuch von einer halben Stunde erhob sich der ehrenwerte Cy zum Fortgehen. Als die Türe hinter ihm zu war — ich bin dankbar, daß das Kind wenigstens so lange gewartet hat —, erhob Punch seine hinreißenden Augen zu mir und murmelte mit einem zutraulichen Lächeln: „Donner! Hat er nicht ein höllisches Gfries?“
Wenn Du eine gütige christliche Familie kennst, wo ich einen süßen kleinen fünfjährigen Buben unterbringen kann, bitte ich um sofortige Mitteilung an
S. McBride.
Liebe Pendletons!
Ich habe noch nie so etwas wie Euch Schnecken gesehen. Ihr seid gerade erst in Washington angekommen, und mein Koffer ist seit Tagen gepackt, damit ich ein verjüngendes Wochenende bei Euch verbringen kann. Schickt Euch doch bitte. Ich bin jetzt in dieser Anstaltsatmosphäre so lange dahingesiecht, wie es menschenmöglich war. Ich werde einen letzten Atemzug tun und sterben, wenn ich nicht bald herauskomme.
Im Begriff zu ersticken bin ich Eure
S. McB.
PS. Schickt Gordon Hallock eine Karte, daß Ihr dort seid. Er wird entzückt sein, sich und das Kapitol zu Eurer Verfügung zu stellen. Ich weiß, daß Jervis ihn nicht mag, aber Jervis sollte sein grundloses Vorurteil gegen Politiker aufgeben. Wer weiß? Vielleicht begebe ich mich eines Tages selbst in die Politik.
Meine liebe Judy!
Wir bekommen wirklich die erstaunlichsten Geschenke von unseren Freunden und Wohltätern. Hör Dir das Neueste an. Letzte Woche fuhr Mr. Wilton J. Leverett (ich zitiere seine Karte) vor unserem Tor über eine zerbrochene Flasche und besah sich die Anstalt, während sein Chauffeur den Reifen flickte. Betsy führte ihn. Er zeigte ein intelligentes Interesse für alles, was er sah, vor allem unsere neuen Lager. Das ist ein Vorzeigestück, welches Männer anspricht. Er zog schließlich seine Jacke aus und spielte mit zwei Indianerstämmen Baseball. Nach anderthalb
Stunden schaute er plötzlich auf die Uhr, erhat ein Glas Wasser, verbeugte sich und ging.
Wir hatten ihn völlig vergessen, als heute nachmittag der Mann von der Eilfracht mit einem Geschenk der Chemischen Werkstätten von Wilton J. Leverett für das John-Grier-Heim vorfuhr. Es war ein Faß — mindestens ein recht großes Fäßchen — voller grüner Schmierseife!
Habe ich Dir erzählt, daß die Samen für unsere Gärten aus Washington kamen? Ein höfliches Geschenk von Gordon und der Regierung der Vereinigten Staaten. Als Beispiel dafür, was das verflossene Regime hier nicht fertiggebracht hat, hat Martin Schladerwitz, der drei Jahre auf dieser Pseudofarm zugebracht hat, ein dreiviertel Meter tiefes Grab gegraben und seine Salatsamen darin verbuddelt!
Ach, Du kannst Dir gar nicht ausdenken, auf wievielen Gebieten wir erneuert werden müssen. Allerdings Du, ausgerechnet, kannst es Dir ja ausdenken. Ganz allmählich öffnen sich meine Augen, und Dinge, die mir erst nur komisch vorkamen, sind jetzt — o je! Es ist sehr desillusionierend. Jede komische Sache, die sich ereignet, scheint in der Mitte eine kleine Tragödie zu haben.
Zur Zeit achten wir mit sorgender Aufmerksamkeit auf unsere Manieren — nicht Waisenhaus-Manieren, sondern Tanzschul-Manieren. Es
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