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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
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armen, hilflosen kleinen Waisen still und im geheimen aussäuft!
    Ihre Verteidigung bestand in hysterischen Versicherungen, daß sie die Kinder liebe und ihre Pflicht, so wie sie sie sieht, getan habe. Sie halte es für falsch, kleinen Kindern Medizin zu geben! Sie glaube, Arzneien verdürben ihnen den Magen. Du kannst Dir Sandy vorstellen! Oh, welch’ ein Jammer, daß ich das verpaßt habe!
    Also, der Sturm tobte drei Tage lang, und Sadie Kate hat sich fast die Beinchen abgerannt mit den vielen gepfefferten Briefen, die sie zwischen dem Doktor und uns hin und her trug. Nur unter Druck verhandle ich mit ihm übers Telefon, weil er einen neugierigen alten Drachen von einer Haushälterin hat, die am Telefonanschluß im unteren Stock mithört. Ich wünsche nicht, daß die schändlichen Geheimnisse des John-Grier überall verbreitet werden. Der Doktor verlangte die sofortige Entlassung von Miß Snaith. Ich lehnte ab. Natürlich ist sie ein vages, ungenaues, untüchtiges, altes Ding, aber sie liebt die Kinder wirklich, und sie ist unter der nötigen Aufsicht einigermaßen brauchbar.
    Auf jeden Fall kann ich sie mit Rücksicht auf ihre hohen Familien-Beziehungen nicht einfach fortjagen wie eine betrunkene Köchin. Ich hoffe, mit der Zeit zart so auf sie einzuwirken, daß sie geht; vielleicht kann ich ihr beibringen, daß ihre Gesundheit einen Winter in Kalifornien erfordert. Außerdem ist die Art des Doktors so kategorisch und diktatorisch, daß man schon aus Selbstrespekt die Gegenseite ergreifen muß, gleichgültig, was er auch fordert. Wenn er feststellt, daß die Erde rund ist, behaupte ich sofort, sie sei dreieckig.
    Schließlich ist, nach drei erheiternden Tagen, alles ins Lot gekommen. Eine Entschuldigung (eine sehr verwässerte) wurde dem Doktor abgerungen, weil er so unfreundlich mit der armen Dame umgegangen war, und eine volle Beichte, mit Versprechungen, sich in Zukunft zu bessern, wurde aus ihr herausgeholt. Sie konnte es offenbar nicht über sich bringen, den lieben Kleinen das Zeug aufzuzwingen, aber aus naheliegenden Gründen konnte sie es auch nicht ertragen, Dr. MacRae entgegenzutreten; deshalb versteckte sie die letzten vierzehn Flaschen in einer dunklen Ecke des Kellers. Was sie mit ihrer Beute noch anfangen wollte, weiß ich nicht. Kann man Lebertran verpfänden?
    Später.
    Die Friedensverhandlungen waren heute nachmittag gerade abgeschlossen worden, und Sandy hatte einen würdigen Abgang gehabt, als der ehrenwerte Cyrus Wykoff angemeldet wurde. Zwei Feinde im Lauf einer Stunde sind wirklich zuviel!
    Der ehrenwerte Cy war vom neuen Eßzimmer sehr beeindruckt, um so mehr, als er vernahm, daß Betsy die Hasen mit ihren eigenen lilienweißen Händen angemalt hatte. Häschen auf Wänden aufzuzeichnen ist, wie er zugibt, eine geeignete Betätigung für eine Frau, aber eine führende Stellung wie die meine liegt, nach ihm, ein wenig außerhalb ihres Kreises. Er findet, es wäre viel klüger, wenn Mr. Pendleton mir keine so große Handlungsfreiheit mit seinem Geld einräumte.
    Während wir immer noch Betsys Fresko betrachteten, ereignete sich ein fürchterliches Klirren in der Speisekammer, und wir fanden Gladiola Murphy weinend zwischen den Scherben von fünf gelben Tellern. Es ist schon genügend angreifend für meine Nerven, wenn ich diesen Krach höre solange ich allein bin, aber es ist besonders zerrüttend, wenn gerade ein unfreundlicher Aufsichtsrat zu Besuch da ist.
    Ich werde dieses Geschirr so gut wie möglich hüten, aber wenn Du Dein Geschenk in seiner ganzen ungesprungenen Schönheit sehen willst, dann rate ich Dir, gen Norden zu eilen und das John-Grier-Heim unverzüglich zu besuchen.
    Immer Deine
    Sallie.

26. März.
    Meine liebe Judy!
    Gerade hatte ich eine Aussprache mit einer Frau, die als Überraschung für ihren Mann ein kleines Kind mit nach Hause nehmen wollte. Ich hatte einige Mühe, sie davon zu überzeugen, daß es eine zarte Aufmerksamkeit wäre, vor der Adoptierung mit ihrem Mann darüber zu beraten, zumal er es ja ist, der für den Unterhalt aufkommen muß. Sie beharrte eigensinnig auf dem Standpunkt, daß es ihn gar nichts angehe, da die Last des Waschens, Anziehens und der Erziehung doch auf sie fallen würde. Ich fange wirklich an, mit den Männern Mitleid zu haben. Einige scheinen sehr wenig Rechte zu haben.
    Sogar bei unserem kämpferischen Doktor habe ich den Verdacht, daß er das Opfer häuslicher Tyrannei ist, und zwar derjenigen seiner Haushälterin. Es ist schandbar, wie

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