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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Webster
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als Beweis seiner guten Absichten wolle er ihnen einen Sack Erdnüsse schicken.
    Ich fühle mich nach meinem kleinen Ausbruch so frisch und belebt, als wenn ich richtige Ferien
    gehabt hätte. Kein Zweifel: eine Stunde erregender Gespräche kuriert mich besser als ein Liter Eisen- und Strychnin-Tabletten.
    Du schuldest mir zwei Briefe, liebe Dame. Zahle sie tout de suite, oder ich lege meine Feder auf immer nieder.
    Wie gewöhnlich Deine
    S. McB.

Dienstag, 5 Uhr nachmittags.
    Mein lieber Feind!
    Es wird mir berichtet, daß Sie uns während meiner Abwesenheit einen Besuch abstatteten und einen Skandal ans Licht brachten. Sie behaupten, daß die Kinder unter Miß Snaith nicht den Lebertran bekommen, der ihnen zusteht.
    Es tut mir leid, wenn Ihre ärztlichen Befehle nicht ausgeführt wurden, aber Sie sollten wissen, daß es nicht einfach ist, das scheußlich riechende Zeug in das Innere eines zappelnden Kindes zu kriegen. Und die arme Miß Snaith ist sehr überarbeitet. Sie muß für zehn Kinder mehr sorgen, als rechtmäßigerweise dem Los einer einzelnen Frau zufallen sollte, und bis wir eine weitere Hilfe für sie finden, hat sie sehr wenig Zeit für die Extra-Würste, die Sie verlangen.
    Außerdem, mein lieber Feind, ist sie sehr sehr empfindlich gegenüber Beschimpfungen. Wenn Sie sich in kämpferischer Laune befinden, würde ich Sie bitten, daß Sie Ihre Kriegslust auf mich konzentrieren. Mir macht es nichts aus, ganz im Gegenteil.
    Aber die arme Dame hat sich in hysterischer Auflösung in ihr Zimmer zurückgezogen, neun Babys hinterlassend, die derjenige ins Bett stopfen mag, der sich dazu berufen fühlt.
    Mit vorzüglicher Hochachtung
    S. McBride.

    Mittwoch früh.
    Lieber Dr. MacRae!
    Ich nehme keineswegs einen unverständigen Standpunkt ein; ich bitte Sie nur, mit allen Klagen zu mir zu kommen, statt meine Angestellten so vulkanartig aufzurühren wie gestern.
    Ich bin bestrebt, alle Ihre Befehle auszuführen --soweit sie medizinischer Natur sind--— und zwar mit größter Sorgfalt. Im vorliegenden Falle scheint allerdings Nachlässigkeit vorzuliegen; ich weiß nicht, was aus den vierzehn nicht eingeflößten Flaschen Lebertran geworden ist, über die Sie so ein Getue machen, aber ich leite eine Untersuchung ein.
    Aus verschiedenen Gründen kann ich Miß Snaith nicht so plötzlich davonjagen, wie Sie fordern. Sie mag in mancher Hinsicht untüchtig sein; aber sie ist gut zu den Kindern und wird unter der nötigen Aufsicht vorläufig genügen.
    Mit vorzüglicher Hochachtung
    S. McBride.

Lieber Feind! Donnerstag.
    Soyez tranquille. Ich habe Weisung erteilt, daß die Kinder in Zukunft allen Lebertran erhalten, der ihnen rechtmäßig zusteht. Wenn de Bock een Mann stött, mut hei sin Willen hem * ).

    22. März
    Liebe Judy!
    Das Anstaltsleben hat sich in den letzten Tagen etwas belebt, — seitdem nämlich der große Lebertrankrieg wütet. Das erste Gefecht ereignete sich am Dienstag. Unglücklicherweise verpaßte ich es, weil ich mit vieren meiner Kinder auf einer Einkaufsrunde im Dorf war. Als ich zurückkam, lief die Anstalt von Hysterie über. Unser hochentzündlicher Doktor hatte uns einen Besuch abgestattet.
    Es gibt zwei Leidenschaften in Sandys Leben: die eine für Lebertran, die andere für Spinat. Weder das eine noch das andere ist bei den Kindern beliebt. Vor einiger Zeit — nämlich schon vor meiner Ankunft — hatte er Lebertran für alle aenemischen, aneamischen — Himmel! da ist schon wieder das Wort! — Kinder verordnet, und hatte Miß Snaith Weisung gegeben, wie er einzunehmen sei. Gestern fing er in seiner mißtrauischen Art an, herumzuschnüffeln, um herauszubringen, warum die armen kleinen Würmer nicht so schnell dick wurden, wie sie es nach seiner Ansicht müßten, und grub einen entsetzlichen Skandal aus. Ganze drei Wochen lang hatten sie auch nicht eine Spur Lebertran erhalten! An diesem Punkt explodierte er, und es herrschte Freude, Aufregung und Hysterie. Betsy sagte, daß sie Sadie Kate einen erfundenen Gang zur Wäscherei machen lassen mußte, weil seine Ausdrücke für die Ohren von Waisenkindern zu schlimm waren. Als ich nach Hause kam, war er fort. Miß Snaith hatte sich weinend in ihr Zimmer zurückgezogen, und was aus den vierzehn Flaschen Lebertran geworden war, war noch nicht aufgeklärt. Er hatte sie mit lauter Stimme beschuldigt, den Tran selbst genommen zu haben. Stell Dir vor, daß Miß Snaith — sie, die so unschuldig, kindlich und harmlos aussieht — den Lebertran der

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