Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
Vom Netzwerk:
quetschte er sich zwischen all den Krankenwagen in der Bryantwood Road hindurch, und irgendwann ging es gar nicht mehr weiter. Keine Chance. Da lag nämlich ein Mädchen auf der Straße.
    Eine Sekunde zuvor hatte Jasper Black noch kräftig Gas gegeben, und um ein Haar hätten wir sie überfahren. Stopp, halt an, schrie ich, und Jasper Black stieg in die Eisen und lenkte scharf ein. Die Bremsen blockierten, der Wagen kam ins Schleudern, und wir schlitterten quer über die Straße. Aus dem Seitenfenster sah ich das Mädchen näher kommen. Ihre Augen waren offen und starrten in den Himmel. Sie rührte sich nicht. Sie trug ein Chelsea-Trikot. Ich weiß noch, wie ich dachte, mein Gott, das darf nicht sein. Selbst wenn sie Chelsea-Fan ist.
    Das Nächste, an das ich mich erinnere, ist, wie Jasper Black mich aus dem Wagen zerrte. Da war dieses riesige Ding zwischen mir und der Windschutzscheibe. Es drückte voll gegen mein Gesicht und meine Titten und tat ziemlich weh. Ich bekam kaum Luft.
    - Was ist das?
    - Das ist der Airbag, sagte Jasper Black. Ich schätze, er hat dir das Leben gerettet.
    - Und wer bist du?
    - Ich heiße Jasper Black, sagte er. Wir kennen uns kaum. Wir haben zweimal miteinander geschlafen, und ich mag dich sehr. Ich habe dich gerade zum Stadion gefahren, wo es eine Explosion gegeben hat.
    - Ach, jetzt fällt’s mir wieder ein. Du warst der Nette.
    - Hast du Schmerzen?, fragte er. Kann ich dich unbeschadet aus dem Wagen holen?
    Seine Stimme war so anders. Ich sah ihn an. Er hatte Blut im Gesicht, und seine Nase war nicht da, wo sie hätte sein sollen. Ich kicherte, ohne zu wissen, warum. Er zog mich aus dem Wagen. Ich war ganz wacklig auf den Beinen, aber er stützte mich. Ich schaute auf seine Karre. Wir waren in einen parkenden Van gekracht, und alles war kaputt und zerbeult.
    - Ach du je, dein schönes Auto. Völlig im Eimer. Und dein Gesicht erst.
    Ich wollte ihn anfassen und seine Nase wieder an ihren Platz schieben, aber das passte ihm nun überhaupt nicht. Er hielt mich am Handgelenk fest.
    - Schon gut. Sie ist nicht zum ersten Mal gebrochen, alles halb so wild.
    - O mein Gott, das Mädchen!
    - Wir konnten gerade noch ausweichen, sagte Jasper Black.
    - Ein Glück. Wo ist sie?
    - Da drüben, sagte er.
    Ich guckte, wohin er zeigte, und sah das Mädchen. Sie lag noch immer da in ihrem Chelsea-Trikot und sah hinauf in den Qualm. Ich weiß noch, wie ich dachte, Mann, die ist aber cool. Zusammen mit Jasper, der mich weiter festhielt, ging ich zu ihr hin und kniete mich neben sie. Ich schüttelte sie und fragte, ob alles okay wäre.
    - Sie sagt ja gar nichts.
    - Das kann sie auch nicht, weil sie tot ist, sagte Jasper Black.
    Das Mädchen war so hübsch. Ein ASIA-BABE, hätte die Sun gesagt. Sie sah chinesisch aus, aber sie war zu blass. Ein bisschen Make-up hätte Wunder gewirkt. Ich streichelte ihr Gesicht, ihre Haut war ganz zart. Ringsum ein Riesenlärm von den Sirenen. In den ganzen Straßen jaulten die Alarmanlagen von den Autos, und überall aus dem Rauch blinkten die Warnblinkleuchten. Trotz des Krachs lag das Mädchen ganz ruhig da. Sie sah so friedlich aus, gar nicht wie jemand, dessen Mannschaft schon ein Tor im Rückstand lag. Dann bemerkte ich das rote Rinnsal, das unter ihrem Kopf hervorsickerte. Das ganze Blut war aus ihr herausgelaufen, direkt in den Rinnstein, und das machte mich fickrig. Ich stand auf.
    - Komm, suchen wir lieber meinen Mann und meinen Sohn. Lass das Auto einfach hier. Wir können ja später den Bus nehmen.
    Ich ging weiter die Straße hoch, aber der viele Qualm brannte mir entsetzlich in der Lunge. Ich war nur noch am Husten und Spucken. Außerdem wurde es immer dunkler. Jasper Black kam mit. Auch er hustete, und Blut lief ihm aus der Nase. Erst jetzt im Dunkeln sah ich sie. Erst nur ein paar, aber dann immer mehr. Manche trugen rote Trikots, manche blaue, andere hatten ihre Trikots ausgezogen, sodass man nicht wusste, wer sie waren. Sie kamen uns auf der Straße entgegen, aber ganz still. Ihre Augen waren glasig und weit aufgerissen, und immer wieder stolperten sie und fielen hin, aber darauf achteten sie nicht. Es müssen Hunderte gewesen sein, die uns aus dem Qualm entgegenkamen. Und ihre Augen, so groß und weit wie von etwas, das man ganz tief aus dem Meer gezogen hat.
    Eine Blondine kam auf uns zu. Sie trug goldene Ohrringe, ein Arsenal-Shirt und eine rosa Kappa-Jogginghose. Sie war schön geschminkt, und sie hatte sich die Fingernägel gemacht, aber sie schrie

Weitere Kostenlose Bücher