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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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mir, sie nach Hause zu holen, ihn und den Jungen, damit ich ihnen ihr Abendbrot machen kann. Bittebittebitte.
    Heulend stand ich vor dem Fernseher, die Arme vor den nackten Titten verschränkt, und der Rotz lief mir aus der Nase.
    - O Gott, sagte Jasper Black. Du armes Ding. Was bin ich für ein Arsch. Natürlich fahre ich dich hin. Keine Angst, du wirst sehen, den beiden geht es gut.
    - Danke. Danke. Ich will sie nur nach Hause holen, mehr nicht.
    - Natürlich, sagte Jasper Black.
    Er machte ein ernstes Gesicht. Ich ging zur Tür.
    - Moment mal, sagte er. Du hast ja gar nichts an. Ich schaute an mir hinunter.
    - Ach ja.
    Ich ging zurück in die Küche und stieg in meine Sachen. Auf meiner Jeans waren Ketchupflecken, weil mein Sohn beim Frühstück zu fest auf die Flasche gedrückt hatte.
    -Ach du je, die ist ganz schmutzig. Augenblick, ich zieh mir nur schnell eine neue an.
    - Keine Zeit, sagte Jasper Black. Wenn wir fahren wollen, dann sofort.

 
    D IE S TRASSE WAR LEER . Alle Leuten saßen drinnen vor der Glotze, es gab nur mich und Jasper. Wir stiegen in sein Auto. Wie mein Mann gesagt hatte, es war eine irre Karre, aber das bemerkte ich jetzt kaum. Ich dachte nur darüber nach, was ich ihnen zu essen machen könnte, wenn sie wieder da waren. Vielleicht Chicken-Nuggets. Jasper Black ließ den Wagen an. Er klang überhaupt nicht wie unser Astra, sondern wütend, und schon bei dem Geräusch zitterte ich. Mit quietschenden Reifen rasten wir los und flogen förmlich über die Straßenschwellen. Egal, die meisten anderen waren sowieso an die Seite gefahren und hörten Radio. Wir fuhren am Jesus Green vorbei, doch kein Mensch führte dort seinen Hund aus. Dann bogen wir in die Columbia Road ein, und auch da keiner, der jetzt einkaufen ging. Keine Penner, die Cidre aus Dosen tranken. Keine sexy Supermuttis mit ihrem Nachwuchs in Dreiradbuggys.
    - So war das auch bei der Hochzeit von Charles und Diana.
    - Wovon zum Teufel redest du?, sagte Jasper Black.
    - Von den leeren Straßen. Und der Hochzeit eben. Ich war zwar noch klein, aber an die leeren Straßen erinnere ich mich genau. Alles war drinnen und guckte Hochzeit im Fernsehen. Zwischendurch ging ich los, Süßigkeiten kaufen, und es sah genauso aus wie jetzt. Als wäre die Welt stehen geblieben. Und auch als sie starb, war es so ähnlich. Alles saß zu Hause. Keiner konnte es fassen. Alles guckte nur Nachrichten.
    Ja, sagte Jasper Black. Aber diesmal geht es nicht nur um Diana, das hier ist was ganz anderes. Mach dich auf was gefasst. Ich weiß nicht, ob es wirklich so eine gute Idee ist, dich in deinem Zustand dahin zu fahren.
    - Mach dir um mich keine Sorgen. Schlimmer als beim Tod von Lady Di kann es nicht werden. Und das haben wir auch überstanden, oder?
    Jasper Black sah mich nur an.
    - Warum atmest du nicht erst mal durch, sagte er.
    Wir rasten durch Hoxton, als ich sie zum ersten Mal sah. Die Rauchsäule über dem Stadion. Dabei waren wir noch meilenweit entfernt. Ich besah sie mir von hoch oben aus dem blauen Himmel bis hinunter zur Erde, wo sie immer dunkler wurde. Oben an der Spitze schien sie federleicht dahinzutreiben, aber unten, hinter den Wohnblocks, brodelte der schwarze Qualm, ballte sich immer aufs Neue wütend zusammen, als hätte er es eilig, irgendwohin zu kommen.
    - Ganz tief durchatmen, sagte Jasper Black. Bitte, tu mir den Gefallen, sei ein braves Mädchen.
    Wir bogen in die New North Road ein. Jasper Black fuhr wie ein Verrückter, und die Rauchsäule vor uns wurde immer größer. Auf der Canonbury Road waren Autos und Busse mitten auf der Straße stehen geblieben, die Leute hatten die Wagentüren aufgemacht, hörten die Durchsagen im Radio und schauten auf den Rauch. Mit heulendem Motor und quietschenden Reifen kurvte Jasper Black an ihnen vorbei. Noch kamen wir voran, aber langsam wurde es eng. An der U-Bahn-Station Highbury and Islington stand schon Polizei. Sie hatten mit Kegeln und Motorrädern mit blitzenden Blaulichtern die Holloway Road gesperrt, aber wir wichen in den Highbury Crescent und die Seitenstraßen aus.
    Die Rauchsäule war mittlerweile gigantisch. Ein Monster von Wolke. Immer wieder rissen sich riesige, pechschwarze Fetzen daraus los und hüllten uns ein. Es wurde dunkel, Jasper Black schaltete das Licht und die Wischer an. Er drückte einen Knopf auf dem Armaturenbrett, wodurch angeblich keine Luft mehr von außen in den Wagen kam, aber das funktionierte nicht. Ich fing an zu husten und er auch. Im Schneckentempo

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