Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
französischer Präsident geworden war, François Mitterrand. Als Studentin am Institut de Sciences Politiques in Paris hatte ich in den Siebzigerjahren sogar handfeste Auseinandersetzungen mit den »majos« (den damals tonangebenden rechten Studentenvertretern des Instituts) gehabt, die im Gegensatz zu uns, den linken »minos«, behaupteten – leider zu Recht –, dass Mitterrand mit dem Orden des Vichy-Regimes, der Francisque, ausgezeichnet worden war, die Pétains besondere Wertschätzung ausdrückte!
In diesem Buch,
Une jeunesse française
[ 3 ], erzählt Pierre Péan die zwielichtige Geschichte von Mitterrand und seinen alten Freunden, von ihrer dunklen Vergangenheit. Aber was mich erschütterte, war nicht die Enthüllung der schwarzen Flecken im Leben eines Vichy nahestehenden François Mitterrand, der später zu dem aktiven Widerständler François Morland wurde, sondern die Fortdauer seiner nie widerrufenen zweifelhaften Freundschaften. Seine Verbindung zu Bousquet vor allem, die vom Präsidenten selbst bestätigt und durch Privatfotos in Mitterrands Haus bezeugt wurde, als Bousquet seine verschiedenen Kampagnen finanzierte. Und die ebenso belastende Nähe zu Jean-Paul Martin, Mitglied des ehemaligen rechtsextremen Geheimbunds La Cagoule, bei dessen Begräbnis 1986 der Sarg auf Anordnung des amtierenden Präsidenten der Republik Frankreich mit der französischen Fahne bedeckt wurde!
Für mich gibt es ein vor und ein nach 1994. Ich war dem ehemaligen Präsidenten nach wie vor dankbar, dass er die Linke von dem Fluch befreit hatte, der sie am Regieren hinderte, und bewunderte ihn für seine Europapolitik. Aber den Glauben an die Aufrichtigkeit seines Engagements habe ich für immer verloren, ich hatte das Gefühl, verraten worden zu sein. Und diese Empörung, die Erschütterung meiner Überzeugungen, die Vergangenheit eines gewissen Frankreich, das für mich niemals
la France éternelle,
das ewige Frankreich sein wird, »vergehen nicht«,[ 4 ] sie waren prägend für mich.
Auf meinen Vater wirkten die Enthüllungen über die Razzia des Vél d’Hiv wie eine Bombe. Umso mehr, als sein Vater, der den gelben Stern trug, bevor er sich unter dem Namen Sabatier versteckte, von der Concierge des Hauses, in das er sich mit meiner Großmutter geflüchtet hatte, denunziert, von der französischen Polizei verhaftet und in Drancy interniert worden war.
Obwohl es hier um die Geschichte der Familie meiner Mutter geht, möchte ich an dieser Stelle doch auch kurz der Mutter meines Vaters gedenken. Marguerite Schwartz gelang es – wohl dank eines französischen Offiziers, der Zutritt zum Lager Drancy hatte –, als Krankenschwester verkleidet, mit einem geliehenen Rotkreuz-Wagen und falschen Papieren ausgestattet, meinen Großvater aus diesem Vorraum der Deportation herauszuholen. Von der langen Misshandlung im Lager stark geschwächt und schwer krank, starb er später zu Hause in seinem Bett statt in der Gaskammer in Auschwitz, für die ihn der nächste Transport bestimmt hatte.
An diesem Tag im Jahr 1967 nun konnte mein Vater kaum glauben, dass der für die Deportationen Verantwortliche derselbe Leguay war, der am Wochenende zuvor noch als Freund mit ihm Tee getrunken hatte.
Mit der Fotokopie eines Briefs, den der fragliche Leguay an die Deutschen geschrieben und den mein Vater im Centre de documentation juive contemporaine[ 5 ] gefunden hatte, begab er sich zum Verband der französischen Kosmetikindustrie, dessen Mitglied er war, und bat den Vorsitzenden, ihm ein beruflichesSchreiben von Jean Leguay, dem Chef der Firma Gemey, zu zeigen. Beim Vergleich der Dokumente erblasste mein Vater: Die beiden Unterschriften waren identisch. Da erzählte er, was er über den Mann wusste, und verlangte seinen Ausschluss. Verlegene Ablehnung des Vorsitzenden. Nicht sehr mutig zweifelsohne, aber damals war man für dieses Thema noch nicht sensibilisiert und weit entfernt von dem Willen der heutigen Deutschen, ihre Vergangenheit vollständig offenzulegen. Die Angst vor einem Skandal war stärker als alles andere.
Daraufhin trat mein Vater selbst aus dem Verband aus, teilte Leguay in einem Brief mit, was er über ihn erfahren hatte, und bat ihn, künftig in Fleury-en-Bière die Straßenseite zu wechseln, damit er ihm nie mehr begegnen müsse. Leguay schickte ihm postwendend den Beschluss des Obersten Gerichtshofs von 1949, der ihn vollkommen reinwusch, wie das auch bei Bousquet und vielen anderen geschehen war.
Nebenbei gesagt:
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