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Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Titel: Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Sinclair
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Symbolfigur »Marianne« eine Zeit lang in ihrem Rathaus thronen zu lassen.
    Es geht nicht einfach um bürokratische Schikanen. Wasmich alarmiert, ist die Wiederbelebung der ungesunden Debatte über die »nationale Identität«, die Frankreich vergiftet.
    Der Vorfall erinnert mich an eine Geschichte aus meiner Jugend. Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre kamen nach und nach die Details der Shoah ans Licht, insbesondere die Beteiligung des Vichy-Regimes an der »Endlösung«. Der frühere Generalkommissar für Judenfragen, Darquier de Pellepoix, der in Spanien im Exil lebte, behauptete gar in einem
Express-Interview
ohne einen Hauch von Reue, man habe »in Auschwitz nur Flöhe vergast«. Dieses Interview gab Serge Klarsfeld den Anstoß zu seinen Nachforschungen und Klagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, zuallererst – noch vor der Klage gegen Maurice Papon – gegen René Bousquet, den Generalsekretär der Polizei des Vichy-Regimes. In dieser Zeit erschienen viele Bücher zu diesem Thema, allen voran das der amerikanischen Historiker Michael Marrus und Robert Paxton,
Vichy France and the Jews[ 1 ].
Erst Forschungen ausländischer Historiker hatten für Aufklärung über die Rolle der Vichy-Regierung bei der Verhaftung und Deportation der Juden in Frankreich sorgen müssen! Damit begannen die großen Enthüllungen über diese finsteren Jahre. Gleichzeitig meldeten sich vermehrt Revisionisten wie Robert Faurisson zu Wort, der seither in Frankreich mehrfach wegen »Leugnung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit« verurteilt wurde.
    Zwanzig Jahre zuvor hatten meine Eltern eine alte Scheune in Fleury-en-Bière im Departement Seine-et-Marne als Wochenendhaus herrichten lassen.
    Mein Vater, der in der Kosmetikindustrie arbeitete, war froh, in diesem Dorf einen Kollegen zu treffen, Jean Leguay, Chef der Firma Gemey, die heute zur L’Oréal-Gruppe gehört.
    Jean Leguay und mein Vater spielten gelegentlich zusammen Golf in Fontainebleau. Leguay kam oft zum Kaffee zu uns, in Begleitung seiner Frau Minouchette – für mich damals der Inbegriff des Snobismus des XVI. Arrondissements. Sie erzählte gern, sie hätte ihr Haus in diesem Dreihundert-Seelen-Dorf in »Dior-Grau« streichen lassen. Doch so eitel und dumm Minouchette war, so sympathisch und intelligent wirkte ihr Mann. Mein Vater schätzte seine Gesellschaft, und ich lief ihnen manchmal den ganzen Golfparcours nach, voller Freude, mit meinem Papa spazieren zu gehen.
    Jean Leguay hatte das glatte Gesicht und den rosigen Teint eines Menschen, der gut schläft. Meine Mutter, immer in Sorge um meinen Vater, dessen Teint blass, manchmal sogar fahl war, hielt ihm Jean Leguay als Musterbeispiel für Gesundheit und Wohlbefinden – und ein gutes Gewissen vor.
    Doch schon ein paar Jahre vor den neuen Büchern über die Mitwirkung der Vichy-Regierung an der Judenpolitik Nazi-Deutschlands war ein Buch von Claude Lévy und Paul Tillard mit dem Titel
La Grande Rafle du Vél d’Hiv[ 2 ]
erschienen. Was dort geschah, wissen die Franzosen inzwischen, insbesondere seit der Rede von Jacques Chirac am 16. Juli 1995, in der er die Verantwortung Frankreichs und seiner Behörden für die Deportation der Juden anerkannte. Seither haben viele Bücher und Filme dafür gesorgt, dass die Fakten allgemein bekannt sind. Doch Ende der Sechzigerjahre wirbelte die Veröffentlichungvon Auszügen aus
La Grande Rafle du Vél d’Hiv
im
Nouvel Observateur
noch viel Staub auf.
    Darin ging es auch um einen gewissen Leguay, dessen Vorname nicht genannt wurde. Er war von René Bousquet in die besetzte Zone entsandt worden und korrespondierte als Präfekt regelmäßig mit seinen Kollegen über praktische Fragen bei der Verhaftung der Juden. Er war an den Planungen und Vorbereitungstreffen für die Razzien im Juli 1942 beteiligt und leitete auch die Überstellung von Juden aus der freien Zone nach Drancy.
    Wie Bousquet, der lange von seinen politischen Freunden gedeckt wurde, und wie Maurice Papon, der einzige hohe Vichy-Beamte, der in den letzten zwanzig Jahren verurteilt worden ist, war Jean Leguay ein finsterer Geselle, dessen Machenschaften lange im Dunkeln geblieben sind – wie die vieler Kollaborateure, deren Vergangenheit erst spät ans Licht kam.
    Aber damals hätte ich auch jeden beschimpft, der mir erzählt hätte, dass siebenundzwanzig Jahre später ein Buch – mit Einverständnis des Hauptbetroffenen – die dunklen Jahre eines Mannes enthüllen würde, der mittlerweile

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