Lieber tot als vergessen
Fensterläden. Das ist echtes Geld; das kriegt man, wenn man dreimal die Nummer eins und ein Bestselleralbum hat, nur für den Anfang.
»Du hast es gehört, nehme ich an?« sagte ich, als ich durch die Tür kam und sie mich auf beide Wangen küßte.
Carla zuckte die Achseln. »Yeah. Traurig, nicht?« Dann zog sie an meiner Hand und führte mich nonchalant durch das Gedränge.
»Ich dachte, du wärest betroffen.«
»Bin ich auch..., aber ich hab ihn kennengelernt, weißt du. Komischer Typ. Brillant, natürlich, in seiner Zeit, aber wirklich sonderbar. Ein bißchen Junkie und voll auf diesem ganzen West-Coast-Zeug, New Wave, Kristallkugeln… er meinte, wir sollten unsere Auren verschmelzen, kannst du dir das vorstellen? Ich hab’ ihm gesagt, meine Aura funktioniert alleine, Freundchen! Komischer Typ, aber sind sie das nicht alle?«
»Popmusiker oder Männer im allgemeinen?«
»Popmusiker und Männer im allgemeinen. Trinkst du was?«
»Solange ich lebe und atme...«
Sie grinste und gab mir einen großen Plastikbecher Gin Tonic. »Cheers.« Sie stieß mit ihrem Becher Scotch an meinen und sah sich um. Die Partygäste drängten sich herein, um ihr näherzusein. So war es jetzt immer, selbst unter Freunden. Sie war berühmt, und jeder, dem sie auch nur >Guten Morgen< sagte, war ihr Freund. Carla konnte so grob und empörend sein, wie sie wollte, und sie konnte beides sein, aber sie redeten darüber nur im Kontext ihres Talents und ihrer angeborenen Starqualitäten. Alles war verzeihlich, und man nahm es hin, solange sie ein Star blieb und man durch ein klebriges Band der Vertraulichkeit mit ihr verbunden bleiben konnte. Jemanden Berühmtes einfach nur zu kennen, das zählte schon.
Carla wandte ihnen den Rücken zu und beugte sich näher zu mir, und sie sah mit ihren dunklen, schokoladenfarbenen Augen zu mir auf. »Im Ernst — irgendwelche Männer?«
»Hab’ ich aufgegeben. Meine Urteilskraft in diesen Dingen ist gleichmäßig schlecht.«
»Yeah, na ja, macht nichts, ist sowieso bloß eine verdammte Zeitverschwendung.« Carlas Kopf ruckte jäh nach vorn, als sie jemand nach hinten riß, und sie verschüttete ihren Drink. Sie riß die Augen weit auf und zog die Brauen hoch, als sie das Gleichgewicht verlor und rückwärts ins Gedränge kippte. Sie streckte die Arme aus, als ob sie falle, war aber sicher, daß jemand sie auffangen würde. Sie lachte und schrie um Hilfe.
Ich winkte ihr zu, als sie tanzte. Die Musik wurde lauter. Ich sah mich unter den wippenden Köpfen um. Ich wollte mich amüsieren, aber ich fühlte mich nicht mehr so aufgekratzt wie bei meiner Ankunft. Verdammte Zeitverschwendung. Warum dauerte es so lange, die Vergangenheit hinter sich zu bringen? Immer, wenn sie gerade außer Sicht geraten war, brachte irgendein Wort, ein Ort, ein Lied alles zurück, und der Nächstbeste, der einem über den Weg lief, bekam den ganzen Unsinn vorgetragen, während die Erinnerungen vorüberflogen. Ich besorgte mir noch einen Drink und dann noch einen, bis es drei Uhr war und Carla fand, daß wir gehen sollten. Ich war betrunken, aber sie schien nüchtern zu sein.
»Ich brauche nicht mehr hierzubleiben«, sagte sie, hakte sich bei mir unter und bugsierte mich zur Tür. »Komm schon. Komm! Laß uns zu mir gehen. Wir schlafen da. Komm. Ich lade dich zum Frühstück ein.«
Frühstück bei Carla Blue. Der Traum aller Smiley Kids.
Ihr Haus gefiel mir. Das große leere Vorderzimmer hatte eine hohe, hübsche Decke und einen glatten, glänzenden Holzfußboden. Eine Wohnung, wie man sie in den Lifestyle-Artikeln in Illustrierten sehen konnte. Auf den Fotos würde ein schickes Paar eine elegante Dinnerparty geben, wo sie dann ihren Freunden erzählten, wieviel sie für die Wohnung bezahlt und was sie damit gemacht hatten und für wieviel sie sie heute verkaufen könnten. Die Bude wäre heruntergekommen und vernachlässigt gewesen, aber in groben Zügen intakt. Er wäre Architekt, und sie würde Kinderbücher illustrieren oder irgendwas mit Stoffen machen. Natürlich hätten sie die meiste Arbeit selbst erledigt. »Das ist eine tolle Wohnung«, sagte ich und streute Toastkrümel auf den Boden.
Carla reichte mir einen Kaffeebecher. »Zieh ein, wenn du willst. Ich hab hier fünf Schlafzimmer... und eigentlich ist es zu groß für mein kleines altes Ich.« Sie ging zum Fenster, spähte hinaus und drehte sich dann nach mir um. Das dunstige Morgenlicht schob sich allmählich über ihr Gesicht. »Im Ernst, laß es dir mal
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