Lieber tot als vergessen
in halsbrecherische Höhen emporragten.
»Was haben wir denn?«
»Nichts.«
»Pizza-Service oder essen gehen?«
»Pizza-Service, aber die kommen vielleicht nicht her.«
Meine Wohnung lag im sechsten Stock eines Sozialwohnungsblocks in Bow. Wenn der Aufzug funktionierte, würden wir die Pizza vielleicht kriegen, aber es gab keine Garantie dafür, daß das Liefermoped noch dastehen würde, wenn der Typ wieder herunterkäme. Außerdem wurden die Pizza-Kuriere heutzutage überfallen, und man klaute ihnen Pizza und Geld. Das alles wollte bedacht sein. Ich brauchte Carla die Einzelheiten nicht erklären, denn sie hatte vor ihrer zweiten Geburt als reicher Rockstar in einer schwer zu vermietenden Wohnung im Londoner Stadtteil Hackney gehaust. Neben dieser Hütte hatte meine Mietwohnung ausgesehen wie Hearst Castle.
Aber die Pizza kam, und der chinesische Kurier übergab uns die Schachteln, als wäre es Schmuggelware, nahm das Geld und suchte das Weite.
»Ich muß mir auch ein Jahr freinehmen«, brummte Carla, als ich die beiden Pizzen halbierte und die Hälften auf unsere Teller schob.
»Wie meinst du das?«
»Das Finanzamt. Mein Steuerberater sagt, ich muß für ein Jahr ins Ausland.«
»Mann! Das heißt, du hast es geschafft, Carla! Du wirst Steuerflüchtling... Fünf Monsterhits in einem Jahr, die LP, die Tournee... Kann ich jetzt deinen Wagen fahren? Beep, beep, beep, beep — yeah?«
»Das ist gar nicht lustig. Der letzte war übrigens kein solches Riesenmonster. Er ging hoch und kam wieder runter. Ich habe zweihunderttausend Pfund Steuerschulden und Gott weiß wieviel bei der Sozialversicherung, das vergessen die Leute immer — und das bedeutet, die nächsten zweihunderttausend, die ich verdiene, gehen ans Finanzamt. Aber wenn ich sie verdiene, muß ich dafür auch wieder Steuern zahlen, und das heißt, ich werde von jetzt an nur noch für die Steuer arbeiten, wenn ich nicht abhaue. Charlie Win-grove, mein Steuerberater, sagt, wenn ich für ein Jahr gehe, kann ich nächstes Jahr für sechzig Tage zurückkommen. Wenn ich das mache, geht das Geld für das neue Album, das ich im Ausland aufnehmen und vor Weihnachten herausbringen muß, für meine Steuerschulden drauf, aber es ist zumindest steuerfrei.«
»Das ist gut«, sagte ich, aber sie reagierte kaum.
»Weiß du, daß das Finanzamt irgendwo in einer verfluchten Hütte in Watford eine Extraabteilung für unsereinen hat, wo sie die Financial Times und den New Musical Express lesen — die lesen da jede gottverdammte Musikzeitschrift. Die verbringen ihre miesen kleinen Tage damit, Zeitungsausschnitte zu sammeln, Zeitungsausschnitte über mich, und in allen möglichen Datenbanken rumzuwühlen, um zu verfolgen, was ich mache! Diese Schweine... Scheiße... Ich will nicht weg, Georgie. Die zwingen mich.«
Ich schüttelte den Kopf. Du liebe Güte. »Hör mal, der Spitzensteuersatz liegt heute nur noch bei vierzig Prozent — wieso bezahlst du nicht einfach?«
Sie warf mir einen Blick zu, der mich nötigte, über Alternativen nachzudenken.
»Oder du steigst in eines dieser künstlichen Verlustgeschäfte ein. Abschreibungsunternehmen nennt man sie wohl offiziell. Sogar Cliff >Gott ist auf meiner Seite< Richard hat so was getan. Die Investition in Fichtenplantagen ist inzwischen out, selbst wenn ich dir so was erlauben würde. Aber da gibt’s immer noch Frachtcontainer-Leasing. Hab’ ich irgendwo gelesen. Oder du steckst vierzigtausend Pfund in ein Unternehmens-Erweiterungs-Programm.«
Carla schien überhaupt nicht zuzuhören.
»Okay. Was ist mit einem Pensionsplan? Ja, wie wär’s damit? Hübsch und simpel.«
Sie nahm eine Scheibe Pizza, biß hinein und redete durch die elastischen Käsefäden. »Verschone mich bitte damit. Woher hast du dieses ganze Zeug? Hast du etwa einen Scheiß-Pensionsplan? Nein. Komm, ich kann mir nicht vorstellen, wie ich sechzig Jahre alt bin. Ich bin Popstar, weißt du das nicht? Ich werde wahrscheinlich nicht mal dreißig, von sechzig ganz zu schweigen!«
»Dann hast du noch drei Jahre. Was hast du denn vor?«
Sie wedelte bloß mit der Hand, als wäre ich eine lästige Fliege, und sah sich nach dem Wein um. Diesmal hörte sie auf zu essen, um es mir zu erklären. »Mein Steuerberater sagt, ich muß eine Firma werden und mich dann verpissen und ein Schweinegeld verdienen. Nach sechzig Tagen kann ich für zehn Tage zurückkommen, nach sechs Monaten für dreißig Tage und so weiter und so weiter. Ich muß zwölf Monate im
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