Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
hinter dem Mond sein.«
Im Krankenhaus wurde sie schon erwartet. Sie war weiterhin lebhaft, erzählte allen von ihren Angstzuständen im Verkehr und von den Veränderungen, fragte, ob das Warenhaus Eaton zu Weihnachten seine Schaufenster immer noch so schön schmückte. Und las irgendjemand noch das
Telegram
?
»Sie hätten durch Chinatown hereinfahren sollen«, sagte eine der Krankenschwestern. »Das ist erst was!«
»Dann freue ich mich darauf, das zu sehen, wenn ich wieder nach Hause fahre.« Sie lachte und sagte: »Falls ich je wieder nach Hause fahre.«
»Reden Sie keinen Unsinn.«
Eine andere Krankenschwester sprach mit Jackson darüber, wo er das Auto geparkt hatte, und erklärte ihm, wo er es abstellen sollte, damit er keinen Strafzettel bekam. Erkundigte sich auch, ob er über die Unterbringungsmöglichkeiten Verwandter von außerhalb Bescheid wusste, wesentlich billiger als jedes Hotel.
Belle würde jetzt zu Bett gebracht werden, hieß es. Ein Arzt würde sie sich ansehen, und Jackson konnte später wiederkommen und ihr gute Nacht sagen. Es konnte sein, dass er sie dann ein wenig benebelt vorfinden würde.
Sie hörte das mit an und sagte, sie sei sowieso die ganze Zeit über benebelt, also werde ihn das nicht überraschen, was bei allen ein wenig Heiterkeit auslöste.
Die Krankenschwester wollte von ihm noch eine Unterschrift haben, bevor er ging. Er zögerte bei der Frage nach dem Verwandtschaftsgrad. Dann schrieb er »Freund«.
Als er am Abend wiederkam, bemerkte er tatsächlich eine Veränderung, obwohl er Belle nicht als benebelt beschrieben hätte. Man hatte sie in eine Art grünen Stoffsack gesteckt, der ihren Hals und den größten Teil ihrer Arme frei ließ. Er hatte sie selten so unbekleidet gesehen, und ihm fielen die hervortretenden Sehnen zwischen Kinn und Schlüsselbein auf.
Sie war wütend, weil ihr Mund trocken war.
»Die geben mir nichts, nur ein mieses Schlückchen Wasser.«
Sie wollte, dass er ihr eine Cola holte, etwas, das sie, soweit er wusste, noch nie in ihrem Leben getrunken hatte.
»Am Ende vom Flur steht ein Automat – da muss einer stehen. Ich sehe Leute mit einer Flasche in der Hand vorbeigehen, und das macht mich so durstig.«
Er sagte, er dürfe nicht gegen die Anweisungen verstoßen.
Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie wandte sich enttäuscht ab.
»Ich will nach Hause.«
»Kommst du ja bald.«
»Du kannst mir helfen, meine Sachen zusammenzusuchen.«
»Nein, kann ich nicht.«
»Wenn du’s nicht machst, mach ich’s eben allein. Ich geh allein zum Bahnhof.«
»Es geht gar kein Zug mehr in unsere Richtung.«
Darauf schien sie abrupt ihre Fluchtpläne aufzugeben. Nach einigen Augenblicken fing sie an, sich an das Haus und all die Verbesserungen zu erinnern, die sie beide – oder überwiegend er – daran vorgenommen hatten. Die Außenwände leuchtend weiß, und sogar die Waschküche weiß getüncht und mit Bretterfußboden versehen. Das Dach neu gedeckt und die Fenster wiederhergestellt in ihrem schlichten alten Stil, und als Allergrößtes die Wasserleitungen, die im Winter solch eine Erleichterung waren.
»Wenn du nicht aufgetaucht wärst, wäre ich bald ins absolute Elend geraten.«
Darin hatte sie schon gesessen, seiner Meinung nach, aber er sprach es nicht aus.
»Wenn ich hier herauskomme, mache ich ein Testament«, sagte sie. »Alles deins. Deine Mühen sollen nicht umsonst gewesen sein.«
Er hatte natürlich daran gedacht, und man sollte erwarten, dass die Aussichten auf Eigentum ihm eine solide Befriedigung verschafften, auch wenn er der ehrlichen und freundschaftlichen Hoffnung Ausdruck gegeben hätte, dass nichts allzu bald passieren möge. Doch nicht jetzt. Es schien wenig mit ihm zu tun zu haben, ganz weit fort zu sein.
Sie überließ sich wieder ihrer Verärgerung.
»Ach, ich wünschte, ich wäre dort und nicht hier.«
»Du wirst dich viel besser fühlen, wenn du nach der Operation wieder aufwachst.«
Obwohl das nach allem, was er gehört hatte, eine faustdicke Lüge war.
Plötzlich fühlte er sich sehr müde.
Seine Vorhersage kam der Wahrheit näher, als er ahnen konnte. Zwei Tage nach der Entfernung der Geschwulst saß Belle aufrecht im Bett in einem anderen Zimmer, hatte ihn ungeduldig erwartet und störte sich überhaupt nicht an dem Stöhnen, das von einer Frau hinter dem Vorhang im nächsten Bett kam. Gestern noch hatte sie – Belle – sich mehr oder weniger so angehört, und er hatte sie nicht dazu
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