Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
sich wegen Belles verändertem Wesen große Sorgen machte. Er dachte, es war gut möglich oder sogar wahrscheinlich, dass sie zu ihrem normalen Ich zurückkehrte, entweder heute oder in ein bis zwei Tagen. Vielleicht würde sie sich an die Geschichte, die sie ihm erzählt hatte, überhaupt nicht erinnern. Was ein Segen wäre.
Die Sonne stand schon so hoch, wie man es zu dieser Jahreszeit erwarten konnte, und die Busse und Straßenbahnen waren bereits ziemlich voll. Er ging ein Stück weit nach Süden, dann nach Westen in die Dundas Street, und nach einer Weile befand er sich im Chinatown-Viertel, von dem er gehört hatte. Karren, beladen mit bekannten und weniger bekannten Gemüsesorten, wurden in Läden geschoben, und kleine gehäutete, offenbar essbare Tiere hingen zum Verkauf bereit. Die Straßen standen voll mit falsch geparkten Lieferwagen und hallten wider von lauten, verzweifelt klingenden chinesischen Rufen. Chinesisch. Dieser hohe Stimmenlärm hörte sich an, als wäre ein Krieg im Gange, aber für sie war das wahrscheinlich nur Alltag. Trotzdem hatte er das Gefühl, Platz machen zu müssen, und er ging in ein Restaurant, das von Chinesen betrieben wurde, aber ein normales Frühstück mit Rühreiern und Schinken versprach. Als er wieder herauskam, hatte er vor, kehrtzumachen und zurückzugehen.
Doch stattdessen wandte er sich wieder nach Süden. Er gelangte in eine Wohngegend, in eine Straße, gesäumt von hohen und ziemlich schmalen Backsteinhäusern. Sie mussten erbaut worden sein, bevor die Anwohner es notwendig fanden, Garagen anzulegen, oder bevor sie auch nur Autos besaßen. Bevor es solche Dinge wie Automobile gab. Er lief weiter, bis er ein Schild zur Queen Street sah, von der er gehört hatte. Er wandte sich wieder nach Westen, und nach ein paar Querstraßen geriet er an ein Hindernis. Vor einem Donut-Laden hatte sich ein kleiner Auflauf gebildet.
Die Leute wurden von einem Rettungswagen aufgehalten, der quer auf dem Bürgersteig stand, so dass man nicht vorbeikonnte. Einige beschwerten sich über die Verzögerung und fragten laut, ob es überhaupt erlaubt war, einen Rettungswagen auf dem Bürgersteig zu parken, andere sahen ganz friedlich aus, während sie sich darüber unterhielten, was passiert sein konnte. Ein Todesfall wurde für möglich gehalten, manche erörterten verschiedene Kandidaten, andere sagten, das sei die einzig zulässige Rechtfertigung dafür, dass der Wagen da stand, wo er stand.
Der Mann, der schließlich auf einer Bahre herausgetragen wurde, war offenbar nicht tot, sonst hätte man sein Gesicht zugedeckt. Er war jedoch bewusstlos und seine Haut grau wie Beton. Er wurde nicht zur Tür des Donut-Ladens herausgetragen, wie einige scherzhaft vorausgesagt hatten – eine Stichelei gegen die Qualität der Donuts –, sondern zur Haustür. Das Haus war ein solide aussehender, vier Stockwerke hoher Backsteinbau mit einem Waschsalon und eben dem Donut-Laden im Erdgeschoss. Der Name, der über der Haustür stand, deutete auf Stolz und auch ein gewisses Maß an Torheit in der Vergangenheit.
Bonnie Dundee.
Ein Mann, der keine Sanitäteruniform trug, kam als Letzter aus dem Haus. Er betrachtete verzweifelt die Menge, die sich nun langsam auflöste. Denn das Einzige, worauf sich jetzt noch warten ließ, war das laute Aufheulen des Rettungswagens, während er seinen Weg auf die Straße nahm und davonraste.
Jackson war einer von denen, die nicht sofort weitergingen. Er hätte nicht gesagt, dass Neugier ihn festhielt, eher, dass er nur auf die unvermeidliche Kehrtwendung wartete, um dorthin zurückzugelangen, von wo er gekommen war. Der Mann, der aus dem Haus getreten war, ging auf ihn zu und fragte ihn, ob er es eilig habe.
Nein. Nicht besonders.
Dieser Mann war der Hausbesitzer. Der Mann, den die Sanitäter im Rettungswagen fortgebracht hatten, war der Hausmeister und Portier.
»Ich muss ins Krankenhaus und sehen, was mit ihm los ist. Gestern noch kerngesund. Hat nie geklagt. Soweit ich weiß, keine Verwandten, an die ich mich wenden kann. Das Schlimmste, ich kann die Schlüssel nicht finden. Er hatte sie nicht bei sich, und sie sind nicht da, wo er sie sonst immer aufbewahrt. Also muss ich nach Hause und meine Ersatzschlüssel holen, und ich habe mich gerade gefragt, könnten Sie solange auf alles aufpassen? Ich muss nach Hause, und ich muss auch ins Krankenhaus. Ich könnte einen von den Mietern bitten, aber das möchte ich lieber nicht, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich
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