Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
herumlief und zum Gespött wurde.
Belle war im Winter immer weg auf einer Schule. Die Schule hieß nach Bischof Strachan, und sie war überrascht, dass er noch nie davon gehört hatte. Sie buchstabierte den Namen. Die Schule war in Toronto und voll reicher Mädchen, aber es gab auch Mädchen wie sie, deren Schulgeld von Verwandten oder aus Nachlässen bezahlt wurde. Da wurde ihr beigebracht, ziemlich hochnäsig zu sein, sagte sie, und sonst nichts, womit sie ihren Lebensunterhalt verdienen konnte.
Aber das erledigte sich alles durch den Unfall. Bei einem Spaziergang auf den Bahngleisen, wie er ihn an Sommerabenden gern unternahm, war ihr Vater von einem Zug erfasst worden. Sie und ihre Mutter waren schon zu Bett gegangen, als es passierte, und Belle dachte, es musste eine Kuh sein, die auf die Gleise geraten war, aber ihre Mutter stöhnte entsetzlich und schien es sofort zu wissen.
Manchmal schrieb ihr eines der Mädchen, mit denen sie in der Schule befreundet gewesen war, und fragte, was in aller Welt sie denn da oben zu tun fand, aber was wussten die schon! Da war das Melken und das Kochen und die Pflege ihrer Mutter, und sie hatte zu der Zeit auch noch die Hühner. Sie lernte, Kartoffeln zu zerschneiden, so dass jedes Teil ein Auge hatte, sie einzupflanzen und im nächsten Sommer auszugraben. Sie hatte nie Autofahren gelernt, und als der Krieg kam, verkaufte sie das Auto ihres Vaters. Die Mennoniten überließen ihr ein Pferd, das nicht mehr zur Feldarbeit taugte, und einer von ihnen brachte ihr bei, es vor die Kutsche zu spannen und damit zu fahren.
Eine ihrer alten Freundinnen namens Robin kam sie besuchen und fand ihre Lebensweise einen Witz. Sie wollte, dass Belle nach Toronto zurückkehrte, aber wo sollte ihre Mutter hin? Ihre Mutter war jetzt viel ruhiger und behielt ihre Kleidung an, außerdem hörte sie gerne Radio, die Oper am Sonntagnachmittag. Natürlich konnte sie das auch in Toronto, aber Belle mochte sie nicht entwurzeln. Robin sagte, dass sie von sich selbst sprach, dass sie selbst Angst vor Entwurzelung hatte. Sie – Robin – ging fort und meldete sich zum Militär für die sogenannte Frauenbrigade.
Das Erste, was er machen musste, war, außer der Küche andere Zimmer so herzurichten, dass man darin schlafen konnte, bevor das kalte Wetter einsetzte. Er musste einige Mäuse beseitigen und sogar einige Ratten, die jetzt, wo es kühler wurde, hereinkamen. Er fragte Belle, warum sie sich nie eine Katze zugelegt hatte, und bekam ein Beispiel ihrer eigentümlichen Logik zu hören. Sie sagte, dass eine Katze immer Tierchen tötete und hereinschleppte, um sie ihr vorzulegen, dabei wollte sie die gar nicht sehen. Er hielt die Ohren offen für das Zuschnappen der Fallen und leerte sie, bevor sie mitbekam, was passiert war. Dann hielt er ihr eine Strafpredigt über die Papierstapel in der Küche, deren Feuergefahr, und sie willigte ein, sie umzuräumen, falls das Wohnzimmer trockengelegt werden konnte. Das wurde zu seiner Hauptaufgabe. Er kaufte ein Heizgerät, reparierte die Wände und erreichte, dass sie fast einen ganzen Monat lang hinaufkletterte, die Zeitungen herunterholte, sichtete, ordnete und in den Regalen unterbrachte, die er angefertigt hatte.
Dann erzählte sie ihm, dass in den Zeitungen das Buch ihres Vaters abgedruckt war. Manchmal nannte sie es einen Roman. Ihm kam nicht in den Sinn, ihr Fragen danach zu stellen, aber eines Tages erzählte sie ihm, dass es darin um zwei Menschen namens Mathilde und Stephan ging. Ein historischer Roman.
»Wissen Sie noch, was Sie in Geschichte gelernt haben?«
Er hatte fünf Jahre Highschool mit achtbaren Noten und sehr guten Leistungen in Mathematik und Erdkunde abgeschlossen, aber von Geschichte war kaum etwas hängengeblieben. In seinem letzten Schuljahr konnte er sowieso nur noch daran denken, dass er in den Krieg zog.
Er sagte: »Nicht so richtig.«
»Sie würden’s wissen, wenn Sie auf die Bischof Strachan gegangen wären. Da wurde uns Geschichte eingetrichtert. Jedenfalls die englische.«
Sie sagte, dass Stephan ein Held gewesen war. Ein Mann von Ehre, viel zu gut für seine Zeit. Er war einer der wenigen Menschen, denen es nicht um sich selbst geht und die nicht danach trachten, ihr Wort zu brechen, sobald sich ihnen die Gelegenheit bietet. Infolgedessen war er letzten Endes nicht erfolgreich.
Und dann Mathilde. Sie war eine direkte Nachfahrin von Wilhelm dem Eroberer und so grausam und hochmütig, wie man sich nur vorstellen
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