Liebesbrand
Leber, was soll ich dir wünschen?
Ich weiß nicht.
Das ist keine Antwort, sagte er.
Gesundheit.
Die hast du schon.
Wünsch’ ihm baldige Rippenheilung, sagte der Polizist.
Dann wünsch’ ich dir, daß du dich bald ohne Schmerzen balgen kannst, sagte Leber, mit wem auch immer.
Danke.
Und ich wünsche dir, daß die vielen Kratzer in deinem Gesicht schleunigst verschwinden. Man mag dich gar nicht ansehen.
Nochmals danke.
Bluterguß hatte sich in der Kantine von mir verabschiedet, ihn plagte die Unlust, und er haßte große Abschiedsszenen, ich
mußte ihm nichts versprechen. Ich schüttelte Hände, steckte dem Pfleger noch einen Schein zu und stieg ins Taxi.
Wohin jetzt? dachte ich, ich habe meine Morgenmantelfreunde angelogen, es wartete eine abbruchreife Beziehung auf mich, sie
war schön, sie war gut, und sie war mir fremd, in den letzten Monaten hatten wir einander belauert, um beim kleinsten Anlaß
Streit anzufangen, die banalste Banalität, daß Liebende sich auf dem Schauplatz ihrer erloschenen Liebe mit Kriegsspielen
die Zeit vertreiben. Wohin? sagte der Taxifahrer, und ich wich seinem Blick im Rückspiegel aus, sagte, er sollte zum Flughafen
fahren, ich kurbelte das Seitenfenster herunter, der Fahrtwind wehte mich an und zauste mir die Haare. Es half kein Zauber,
der unverwundbar machte, es halfen keine Schwüre und keine kleinen Geschenke auf dem Kopfkissen.
|54| Ich entdeckte eines Nachts, daß sie sich an das äußerste Bettende legte, sie schwieg gerade mal so lange, wie es für mich
erträglich war, und dann löschte sie das Licht der Nachttischlampe, und auch ich löschte das Licht auf meiner Seite, ich wußte,
sie wollte im Dunkeln reden, die Dunkelheit besänftigte sie. Sie sagte nicht: Es ist aus. Sie sagte nicht: Wir hatten eine
schöne Zeit. Sie sagte nicht: Ich kann nicht mehr. Sie war schon längst dazu übergegangen, statt des Hasses in der Liebe Fürsorge
in der Freundschaft zu empfinden, sie schlug einen unerträglich versöhnlichen Ton ein. Ich war besiegt, ich war überwunden.
Sie sprach davon, daß wir eine Pause benötigten, und ihre Worte trieben mir die Zornesröte ins Gesicht, verdammt, schrie ich,
was bist du doch für eine feige Frau, sag’ es doch, du hast den ganzen Tag darüber nachgedacht und dir einen Plan zurechtgelegt,
und jetzt finde ich mich in deiner Szene wieder, ich liege wie ein entmannter Romantiker in deinem Bett, du bist angezogen,
ich bin, wie immer und wie üblich zwischen uns, nackt ins Bett geschlüpft, in der Hoffnung … lassen wir das, es ist dein Bett
in deiner Wohnung, und es ist deine Szene, wahrscheinlich hast du meinen Wutausbruch vorausgesehen, und gleich wirst du feige
schluchzen, so wie du feige geschwiegen hast, du hast feige das Licht gelöscht, es ist dir unerträglich, mich anzusehen, was
glaubst du, was ich tun werde?! …
Ich schlüpfte aus dem Bett, zog mich an und stürzte aus ihrem Schlafzimmer, und dann fiel mir ein, daß ich die wenigen Sachen,
die ein Mann in der Wohnung seiner Freundin verstreut, unbedingt wiederhaben wollte. Diesmal sollte es vernünftiger ablaufen,
meine Tasse, mein Wasserglas, meine Strickjacke, meine vier Sätze Unterwäsche, meine Strümpfe, meine Cordhose, meine Bildbände,
ich wollte sie nicht als Schutt einer Möglichkeit der Liebe hinter mir lassen, sie würde einen Teil |55| meiner Spuren verwischen, und ich stellte mir vor, wie sie sehr bald, schon morgen, ihrer besten Freundin sagen würde: Er
hat nicht einmal hinter sich aufgeräumt, ich werfe seinen Müll weg! Ich stand in ihrer Küche und dachte über meine Kleinigkeiten
nach, ich riß einen Zettel aus meinem Notizheft, schrieb … gar nichts. Ich warf die Wohnungstür hinter mir zu, und dann mußte
ich klingeln, und als sie mir aufschloß, sagte ich: Schade, meine Schöne, ich konnte es nicht verhindern, und sie nickte nur
traurig und ließ es zu, daß ich ihre Wange flüchtig mit dem Handrücken berührte, mein Zorn war verflogen, ich war nur ein
Mann im Treppenhaus, wieder ein Ende, wieder warten auf einen Anfang, um wieder ans Ende einer Möglichkeit der Liebe zu gelangen.
Draußen hatte ich zu ihrem Schlafzimmerfenster hochgesehen, dann hatte ich ein Taxi bestellt, dann in einem Hotel die Restnacht
verbracht, dann war ich in meine Stadt gefahren, dann hatte ich in meiner Wohnung Kaffee getrunken und mich über meine Freiheit
gefreut. Ich war frei. Weshalb nur?
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Der
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