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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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vielleicht die allerletzte Nacht,
     ein sanfter Ausstieg, eine warme Entwöhnung, und während sie sich von mir küssen ließ, vergaß ich den Dielenritzenschmutz
     und die vielen Tage, die ich brauchte, um die Tapeten abzureißen, ich würde mich neu einrichten und für Ordnung sorgen, jetzt
     küßte sie zurück, wir würden uns bald lieben, ein vorvorletztes Mal, wenn ich Glück hatte. Sie war keine Frau der harten Brüche,
     sie wollte, vor dem wirklichen Ende, sich erhitzen, schreien und einschlafen, sie wollte, vor ihrem nächsten Anfang, ihren
     Körper an den meinen schmiegen, und mein Blick fiel während ihres langen Kusses auf den Riemen ihrer Handtasche, der sich
     am Stuhlbein verfangen hatte, sie und ich standen im Flur, sie und ich sahen in den Spiegelquadraten an den Wänden Ausschnitte
     unserer Umarmung, und ich bemerkte, daß sie sich auf die Rückenlehnenkante gesetzt hatte, dann riß sie sich von mir los, fuhr
     heftig herum, griff nach ihrer Handtasche. Der Stuhl fiel um, ich schloß die Augen.
    Das war dumm von mir, flüsterte sie, entschuldige, aber ich kann nicht.
    Kaum fiel die Tür ins Schloß, war ich beruhigt – sie |62| war nicht einmal aus Kummer dazu fähig, einen gelegentlichen Liebhaber aus mir zu machen, Papierliebe widerte sie an, die
     Luft zwischen uns war verbraucht, und sie ging, wie es schöne Frauen tun, wenn es ihnen das Herz zerreißt.
     
    Ich schaute auf die verhängten Fenster des Hauses auf der gegenüberliegenden Straßenseite, in fast allen Stockwerken wohnten
     Frauen, und sie hatten aus Angst vor Zaungästen nicht nur schwere Vorhänge angeschafft und dicke Decken an die Fensterrahmen
     genagelt; sie machten auch nur im Flur das Licht an und saßen im straßenzugewandten Zimmer im Dunkeln, für die Studentinnen
     unter ihnen mußte die Leselampe als Lichtquelle herhalten. Es hieß, fremde Männer strichen durch das Viertel, und tatsächlich
     wurden die Briefkastenklappen aufgebogen, einige Straßen weiter lebten in einem Gemeinschaftshaus schwererziehbare und schwer
     heilbare Menschen, und die freigängigen Irren plünderten die Briefkästen, in der Hoffnung, auf einen Benachrichtigungsschein
     des Paketzustelldienstes zu stoßen – sie hielten den Strichcode vor den Scanner des Lesegerätes und suchten mit dem Paket
     das Weite. Ich war nach meiner Ankunft in den Keller gestiegen, um festzustellen, daß man alle Kartons umgestoßen hatte, auf
     dem Boden der Kellerzelle lagen Bücher und Winterkleider, und der Einbrecher hatte sie besudelt. Waren das Zeichen, und ich
     konnte sie nicht deuten? Das Telefon klingelte, und ich nahm erst nach dem vierten Klingeln ab.
    Du hast mir die Hand gegeben, sagte sie, vorhin, als ich bei dir war, hast du es getan. Du hättest es in dem Augenblick bei
     einem freundlichen Nicken belassen können. Meine Hand riecht jetzt nach Aftershave.
    Ich benutze kein Aftershave, sagte ich.
    |63| Was? So entstehen Gerüchte. Dann muß es ein anderer Mann gewesen sein.
    Ganz bestimmt bin ich es nicht gewesen, sagte ich, ich benutze keinen Männerduft.
    Was machst du gerade?
    Ich wollte sie mit einer Lüge beeindrucken, ich wollte ihr erzählen, daß meine Tatkraft ungebrochen war und daß ich große
     Dinge vorhatte, aber ich ließ es bleiben, sie hatte mir bislang jede Lüge angesehen, und sie würde es jetzt meiner Stimme
     anmerken, wenn ich davon sprach, einem guten Plan zu folgen.
    Nichts, sagte ich, ich muß mich ja erst einmal einleben.
    Du sahst fürchterlich aus.
    Ja, sagte ich und wollte schon fortfahren, da fiel sie mir plötzlich ein, die Frau mit dem Emaillering und der Wasserflasche,
     und ich erinnerte mich auch an die ersten Ziffern des Autokennzeichens, NI, NI wie was, dachte ich, woher kommt sie? und ich
     klemmte das Telefon zwischen Ohr und Schulter und rannte zum Bücherregal, ich las mit schräggestelltem Kopf die Titel auf
     den Buchrücken, ich sagte, nein, ich möchte nicht auflegen, ich streiche beim Telefonieren nur durch die Räume, und sie sprach
     von ihrem morgigen Treffen mit ihrer Mutter, die aus Süddeutschland anreiste und sich im zweitteuersten Hotel einquartierte,
     um ihrer Tochter vor Ort Geschenke zu machen, Mutter und Tochter würden das Geld des haßgeliebten Vaters ausgeben, sie hätte
     eine Liste erstellt, eine schöne große Lavalampe, eine schöne nette Markenbluse, einen passenden Rock und, wenn sie Glück
     hatte, zwei Paar Schuhe. Ich rannte zum nächsten Regal, und weil ich an die oberen

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