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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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dachte ich, der talentierte Studienabbrecher aus dem Herzen Europas lebe in den Tag hinein und liebe nicht.
    Der Polizist hatte mich über ›die Verbandelungen im Hintergrund‹ aufgeklärt, er starrte zuweilen auf die monströsen Hinterbacken
     der Putzfrauen, wenn sie auf allen vieren den Linolboden der Flure schrubbten. Die Vorstellung, daß sich zwei Frauen einen
     Mann teilen und daß es diesen Mann keine Anstrengung gekostet hat, Liebe zu geben und Liebe zu empfangen … die Vorstellung
     ließ den Schädel des Polizisten fast platzen. Was hat dieser Depp, was ich nicht habe? rief er in seinem Büro aus, und fast
     hätte er die Unterlagen von seinem Schreibtisch gefegt, er hielt aber mitten in der Bewegung inne. Es ist zur Umkehr zu spät,
     sagte er mit fester Stimme, ich kann meine Seele nicht aufbürsten. Da, schon wieder, die Seele, darauf beriefen sie sich hier
     alle, in diesem Land und in diesem Krankenhaus, und es sprach irgend etwas in mir an, weil ich nicht wußte |51| , was sich in meinem Kopf, in meinem Herzen oder meinetwegen in meiner Seele regte, wurde ich aus dem Stand wütend, ich glaubte
     schon an eine Persönlichkeitsstörung als Folge des Busunfalls. Der Polizist und ich streuten draußen Brotkrümel vor die Schnäbel
     der Tauben, ich sollte vorzeitig aus dem Krankenhaus entlassen werden, meine neuen Freunde hatten diese Nachricht mit einem
     Achselzucken zur Kenntnis genommen. Natürlich konnte ich dem Polizisten nicht sagen, daß ihm die Verzweiflung ins Gesicht
     geschrieben stand, und er glaubte, als Beamter des Staates ein gutes Beispiel abgeben zu müssen. Er galt in den Augen der
     Frauen nicht als gute Partie (die Putzfrauen wußten, daß er ihnen auf den Hintern starrte, sie lachten darüber).
    Du verläßt uns also heute, sagte der Polizist, und, wohin geht die Reise?
    Ich habe noch keinen Plan, sagte ich, ich werde jedenfalls nie wieder in meinem Leben in einen Nachtbus einsteigen.
    Es ist so eine Sache mit den Vorsätzen, sagte er. Ein fliegender Eisenwarenhändler rief seine Ware aus, und da trotz seines
     Geschreis niemand interessiert war, zog er weiter. Ich mümmelte mich in meinen neuen Mantel, der mir bis an die Knöchel reichte,
     ich hatte mit dem Pfleger gefeilscht, er hatte seinen Willen bekommen. Der Herbst war nicht aufzuhalten, die Wettervorhersage
     hatte diesmal ausnahmsweise recht.
    Schreib’ mir eine Postkarte, sagte der Polizist, egal woher. Und versprich’ es nur, wenn du es auch einhalten kannst. Sonst
     warte und warte ich und werde sehr sauer.
    Ich schicke dir eine Postkarte aus Deutschland, sagte ich.
    Kein obszönes Motiv, sagte er, sonst steckt es der verdammte Postbote ein. Du kannst wählen zwischen einer |52| Bergansicht und einer Karte der Stadt, aus der du kommst.
    Ich lebe im Norden, dort gibt es das rauhe Meer.
    Meer haben wir hier auch, sagte er, das will ich nicht. Berge sind gut. Letztes Jahr wurde hier ein Mann eingeliefert, er
     ist wieder genesen. Er arbeitet in England als Gastwirt, er hat mir eine blöde Postkarte geschickt, darauf war ein dicker
     Mann mit einer Krähe auf der Schulter zu sehen. Ich habe die Karte vor Wut ungelesen zerrissen.
    Willst du den Pfleger tatsächlich verprügeln? sagte ich.
    Er regt mich auf, und ich täte nichts lieber, als ihm die Ohren abzuhacken … Aber ich werde mich beherrschen.
    Wir blieben eine Weile still, ich sah hinab auf die große weiße Plastiktüte zu meinen Füßen, darin hatte ich das wenige verstaut,
     das sich in den beiden Tagen angesammelt hatte, meine Taschen waren verbrannt, und ich wollte weder eine Schadensersatzklage
     gegen die Busfahrgesellschaft anstrengen noch Anzeige gegen den Fahrer erstatten, er war mir egal, meine Taschen waren mir
     egal. Man hatte mir so viele Geschichten über das Himmelreich erzählt, daß ich den Glauben daran fast verloren hatte, aber
     auch nur fast – ich freute mich in diesem Fall über den Verlust meines bißchen Besitzes, ich freute mich, daß ich nicht schwer
     an Taschen tragen mußte. Leber schlurfte mißmutig heran, er hatte sich mit einer Schwester wegen eines Zusatzkissens gestritten,
     läppisch, sagte er, das Läppische wird uns allen zum Verhängnis, ich werde irgendwann auf einer Murmel ausrutschen, mit dem
     Kopf unglücklich aufschlagen und sofort sterben, meine Blutlache wird die Pfütze sein, in der die verdammten Tauben baden
     werden.
    |53| Der Neue verläßt uns, sagte der Polizist.
    Es hat sich schon herumgesprochen, sagte

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