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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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nicht die geringste Lust, wieder einmal in eine häßliche
     Sache hineingezogen zu werden, über Messers Schulter sah ich den Mann im Unterhemd langsam an uns herantreten. Er blickte
     mich an, und sein Hohngrinsen verschwand auf der Stelle.
    Was ist mit deinem Freund passiert? sagte er zu Messer, der sich umdrehte und kurz zum Balkon aufsah, die Frau war verschwunden.
    Man wollte ihm weh tun, aber er hat es überlebt.
    Und der andere? sagte der Mann.
    Du meinst wohl, die anderen, sagte Messer, es gab viele Tote und Verletzte.
    Natürlich glaube ich dir nicht, sagte der Mann.
    Der Busunfall, ließ sich Leber vernehmen.
    Du hast in dem Bus gesessen? sagte der Mann.
    Ja, sagte ich, Sitz neunundzwanzig.
    Ich fasse es nicht, rief der Mann aus, ich war auf der Gegenfahrbahn, ich habe angehalten und bin mit dem Feuerlöscher zu
     Hilfe geeilt.
    Danke, sagte ich und streckte ihm die Hand hin, er |46| schlug sofort ein und zog mich zu sich und legte mir einen Arm um die Schultern, wenig später saßen wir bei ihm im Wohnzimmer
     auf dem Boden und löffelten die hausgemachte Kuttelsuppe, Messer nannte ihn die ganze Zeit Bruder, sie schienen ausgezeichnet
     miteinander auszukommen, und seine Frau verriet Bluterguß das Suppenrezept. Leber aß mit großem Appetit seinen dritten Teller
     leer, und ich dachte, was will ich mich wundern, was habe ich schon daran auszusetzen, daß mich ein netter und zuweilen zu
     Wutanfällen neigender Zigeunerfürst behandelt wie einen heimgekehrten Cousin zweiten Grades, und unterstehe dich zu fragen,
     was es mit dem Putzkübel für eine Bewandtnis hat, dem Kübel, in den der Rost schartige Löcher hineingefressen hatte, dem Kübel,
     der neben dem Garderobenständer stand, und als ich länger darüber nachdachte, fand ich dann doch die Lösung: Der Putzkübel
     diente als Ständer für Regenschirme und befand sich deshalb neben dem Garderobenständer.
    Denkst du über den Tod nach? sagte der Mann.
    Nein, sagte ich, die Suppe hat sehr gut geschmeckt.
    Ich habe damit nichts zu tun.
    Die Suppe hat sehr gut geschmeckt, sagte ich zu seiner Frau.
    Komplimente beschämen mich, sagte sie und floh in die Küche, schloß die Tür hinter sich und drehte den Schlüssel zweimal um.
    Ich wollte sie nicht beleidigen, sagte ich.
    Sie ist etwas seltsam, stellte der Mann fest, man hat unsere Ehe arrangiert, als wir noch keine fünf Jahre alt waren, wir
     sind gleichaltrig, ich halte nicht viel von einem großen Altersunterschied zwischen Mann und Frau, na jedenfalls sind wir
     nunmehr vierundzwanzig Jahre, acht Monate und vierzehn Tage verheiratet, sie kennt mich in- und auswendig, ich kann aber nicht
     sagen |47| , daß ich sie kenne. Die Frau ist eben die Richtung, in die der Mann gerade nicht hinsieht.
    Wir dachten über seine Worte nach, ich war skeptisch gegenüber allen Lebensweisheiten, nicht etwa, weil sie der Wahrheit entbehrten,
     sondern weil ich sofort aus dem Tritt kam, wenn ich versuchte, sie mir als große Wahrheiten zu merken. Leber unterdrückte
     geräuschvoll ein Bäuerchen, legte den Löffel weg und sagte, der Gastgeber hätte bei uns Männern eine Wunde aufgerissen, besonders
     der Jüngste in der Runde, Rippe, also jener, der dem Tod ins Angesicht geblickt hätte und noch einmal davongekommen wäre,
     würde ihm, und nicht nur ihm, ein Rätsel aufgeben, ein Mann im Ausland hätte ganz andere Möglichkeiten, ein Mann im deutschen
     Ausland könnte sich bei jeder dritten Frau, so er denn ihr Herz eroberte, unterhaken, Rippe aber reiste allein, lebte allein
     – und liebte nicht. Unser Gastgeber starrte mich an, ich sagte: Ich liebe Frauen – er entspannte sich.
    Ist es schlimm? sagte er.
    Nein, sagte ich, es geht schon.
    Mit den vielen Kratzern in deinem Gesicht darfst du dir keine großen Chancen ausrechnen, sagte er, aber in ein paar Wochen
     kannst du wieder eine Frau ansprechen, ohne daß sie erschrickt. Hast du große Pläne?
    Ich bin ein Mann der kleinen Sprünge.
    Rippe ist unverheiratet, stellte Messer fest, und weil ihm die Rippen schmerzen, achtet er darauf, keine hastigen Bewegungen
     zu machen.
    Ich ließ den Moment, da man von mir erwartete, Rechenschaft abzulegen, verstreichen, ich blickte zur Seite und sann über den
     rostigen Kübel nach. Unser Gastgeber kam auf die Perversionen unserer Zeit zu sprechen, erst letzte Woche hätte die Polizei
     einen Dieb gefaßt, der in fremde Wohnungen einstieg, sich |48| aller Kleidungsstücke entledigte und hiernach die Wertgegenstände

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