Liebesdienst
gehörte. Und jetzt, entsetzt und wie erstarrt, musste Marius sich fragen, ob sie recht hatte.
Obwohl ihn der Altersunterschied anfangs gerührt und gereizt hatte, so wie der Raub einer Frau, verlor dieser nach und nach an Faszination, bis sich Marius am Ende eingestehen musste, dass er es um ihrer wie seiner selbst willen nicht ertragen konnte, Elspeth altern zu sehen. Dementsprechend, wenn auch erst nach langen Leibes- und Seelenqualen, ersparte er ihr das Elend seines Leidens und verlieà sie, damit sie, in Würde, auf sich allein gestellt, sterben konnte.
Finis .
Das war drei Jahre her. Wie lange er schon in Marylebone wohnte, lieà sich nur vermuten. Er machte gerne ein Geheimnis um Veränderungen in seinem Leben. Es passte zu dem kultivierten Anschein der Zufälligkeit. Ein Joseph Conrad des Archipel Marylebone. Lange konnte er sich dort noch nicht herumgetrieben haben, andernfalls hätte ich, als jemand, der gewissenhaft, um nicht zu sagen zwanghaft, Ausschau nach erotischen Gelegenheiten hält â ich spreche hier als Ehemann, nicht für mich selber â, ihn sicher schon früher gesehen und erkannt.
Ganz gleich, wohin es ihn nach Elspeths Tod verschlagen hatte, er hatte wie ein Toter gelebt, sich einen Schnurrbart wachsen lassen, um die Welt auf Abstand zu halten, und von seiner lichten Höhe aus mit fast niemandem gesprochen. Die wenigen Worte, die er noch wechselte â mit dem Angestellten des Knopfgeschäfts unter ihm, mit dem Zeitungsverkäufer, mit Leuten, die ihn im StraÃencafé ansprachen, wie ich es mir zur Gewohnheit machte, bis ich mir seiner sicher war â, waren hinter seinem Bart fast unhörbar.
»Kaum ein Wort«, lautete Andrews Antwort, als ich mich erkundigte, ob er Mariusâ Fragen habe hören können. »Aber er war ja auf der Universität schon schlecht zu verstehen.«
Ein unzugänglicher Mensch, noch ehe er einen Grund hatte, dem Leben nicht offen zu begegnen, war Marius in Gefahr, sich einer Sprache zu bedienen, die nur er alleine sprach.
Das geht mir nicht anders. Auch wenn ich den Anspruch erhebe, dass meine Verfassung eine allgemein menschliche sei, kann ich nicht gerade behaupten, viele Leute zu kennen, die dafür die gleichen Worte finden wie ich. Ausgenommen in den Randgebieten der Pornografie, den phantasmagorischen Chatrooms, wo die Gestörten den Gestörten zuraunen, redet man nicht über das, was ich tue. So sprachen wir also beide eine Sprache, die nur uns allein vorbehalten war. Eine Basis, auf der wir uns unterhalten konnten, meinte ich, oder jedenfalls verbal ins Geschäft kamen.
Meine Sprache würde ihn entsetzen, da war ich mir sicher. Dagegen hatte ich nichts. Ich wollte ihn entsetzen.
Kein Mann, der je eine Frau geliebt, hat sie sich nie in den Armen eines anderen vorgestellt â in dem Stil . Kein Ehemann ist je glücklich â wirklich glücklich, genital, in seinem Innersten glücklich, als Ehemann â, bis er nicht den eindeutigen Beweis hat, dass ein anderer sie fickt.
*
Zu behaupten, ich hätte Marius überwacht, um mich mit seinen Lebensmustern vertraut zu machen, wäre übertrieben. Da gab es gar nicht viel zu überwachen. Meistens hielt er sich zu Hause auf und versuchte, das Buch zu Ende zu schreiben, das er eigentlich nie angefangen hatte. Dank gewissenhafter Angestellter und häuslicher Arrangements, die am treffendsten als flexibel zu bezeichnen wären, hatte ich Zeit und erwischte ihn manchmal, wenn er dennoch vor die Tür ging. Ein paar Mal sah ich, wie er den Manchester Square umrundete, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er sich die Wallace Collection vornehmen sollte oder lieber nicht. Was ihn schlieÃlich davon abhielt, weià ich nicht. Später fand ich es heraus: Gemälde. Gemälde erinnerten ihn an Elspeth. Elspeth liebte Gemälde sehr, für Mariusâ Geschmack zu sehr. Er trat Gemälden gewissermaÃen auf Augenhöhe gegenüber, stritt mit ihnen, spürte ihre Macht und rang mit ihnen â aber er liebte sie nicht. Mit Musik war es ebenso. Er hörte Musik, grübelte und gab sich ihr erst nach einem Kampf hin â aber er liebte sie nicht. Wahrscheinlich sah ich ihn deswegen wenig später auch vor der Wigmore Hall herumlungern. Elspeth hatte auch für Musik geschwärmt.
Kunst umgab sie wie ein Glorienschein. Sie wurde verklärt durch sie. Das Leuchten, wenn sie nach einem Konzert oder
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