Liebesdienst
Verkäufer, die auf ihre Armbanduhren sahen; die Kellner, die mit kellnertypischer aggressiver Geste ihre Zigarettenstummel auf die StraÃe schnippten und frische Tischdecken auslegten; Barkeeper, die Gläser polierten und in den Kelchen ihr Spiegelbild betrachteten; Männer und Frauen auf den StraÃen, die ihre Schritte beschleunigten, mit den Gedanken woanders, auf dem Weg nach Hause, um sich umzuziehen, und unterwegs nur stehen blieben, um Blumen zu kaufen, Schokolade, Wein oder Dessous â als wäre die ganze Stadt ein Liebhaber, der nur an die nächste Verabredung dachte, eine Verabredung, die, um den Zyklus aus Erwartung und Enttäuschung wieder neu in Gang zu setzen, unbefriedigend enden musste.
Sein Bett war schmal und unbequem, wie das eines Mönchs. In seinem früheren Leben war es ein drittklassiges Gästebett gewesen. Aber was brauchte er jetzt schon? Niemals hätte er zugegeben, dass es ein BüÃerbett war. Es war schmal, weil nicht mehr Platz zur Verfügung stand. Die Unbequemlichkeit jedoch diente einem Zweck. Sein Bett nutzte er nur zum Lesen, nie hätte er eine Frau mitgebracht und dieses Bett mit ihr geteilt.
Mehr als die Währungsschwankungen im Wirtschaftsteil zu verfolgen â kein anderes Thema in den Zeitungen weckte sein Interesse, alles war vorhersehbar â, wusste er mit der Zeit, die ihm zur Verfügung stand, nichts anzufangen. Er hatte keine Arbeit, übte keine Funktion aus. An guten Tagen war das wenige Geld, das er mit dem Verkauf eines geerbten Hauses verdient hatte, ein klein wenig mehr wert. An schlechten Tagen sah er sich wieder zu der Entscheidung genötigt, ob er es in Dollar oder Yen anlegen sollte.
Ab und an, wenn der Geldmarkt sich gegen ihn wendete und er genug Willenskraft aufbringen konnte, aus dem Bett zu steigen, verkaufte er am Zaun des Hyde Park Kopien alter Meister, made in Taiwan. Der Bekannte eines Bekannten eines Bekannten wusste, wie man sich einen Platz ergatterte und wie man an die Bilder kam. Ein Pastiche von Michelangelo oder Gainsborough, in Minuten hingeschmiert, auf irgendeiner Insel vor der Küste Chinas, das kam Mariusâ Geschmack für das Abgeschmackte entgegen. Es machte den Tiefsinn zur Farce. Nichts hatte Bestand, nichts hatte Wert.
Ansonsten war er ohne Beschäftigung. Seinen Beruf â was auch immer, Lehrer, Kritiker, Privatdozent, Chronist der taghellen Stadt, die sich der Nacht zuwendet â hatte er genauso vernachlässigt wie die Frau, die er einst geliebt hatte. Weil das Aufgeben zur Gewohnheit wird, hatte er auch ihn sterben lassen.
*
Wodurch es zu dieser Veränderung in Mariusâ Leben gekommen war, ist schnell erzählt. Elspeth war gestorben, und er war nicht bei ihr gewesen. Man ist entweder aus Zufall oder aus Absicht nicht dabei, wenn ein Mensch stirbt. Marius war aus Absicht nicht bei Elspeth gewesen.
Auf der Beerdigung des Professors war es offenkundig gewesen, dass die Beziehung zwischen den beiden nicht so war, wie man es von einem Paar, das aus Liebe durchgebrannt war, erwartet hätte â dass Elspeth jede ihr von Gott vergönnte Stunde mit Marius verbrachte, keine Sekunde vergehen lieÃ, ohne sein Antlitz zu betrachten oder neben ihm zu liegen, und Marius, davon überzeugt, ihre Schönheit werde ihn auch weiterhin hinreiÃen, stürmisch seine Ergebenheit zeigte und ihr beteuerte, er werde ihr ewig zu FüÃen liegen. Möglich, dass Marius der Anblick der Tränen missfiel, die Elspeth über ihren Exgatten vergoss. Manche Menschen sind auf Tote eifersüchtig. Auch möglich, dass ihn nachträglich Zweifel plagten, entweder von der Sorte: »Was war ich für ein Schwein«, oder »Was war ich für ein Dummkopf«. Wie auch immer, ich jedenfalls hatte mit eigenen Augen gesehen, wie widerwärtig er sich gegenüber der armen Frau verhielt, sie mit seinem Flirten und seiner Kühle quälte, wo es seine Pflicht und Schuldigkeit gewesen wäre, sie in Frieden trauern und sich ihren Selbstvorwürfen hingeben zu lassen.
Stand es schon vor der Beerdigung nicht gut um die beiden, dann verschlechterte sich die Beziehung danach dramatisch. Vielleicht büÃte Elspeth durch den Tod des Professors an Ausstrahlung ein, wer weiÃ? Es ist schwer vorstellbar, dass sie Marius im Laufe der gemeinsamen Jahre nicht vorgeworfen hätte, sich nur in sie verliebt zu haben, weil sie einem anderen, älteren, klügeren Mann
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