Liebesgruesse aus Deutschland
immer alles besser und gab ihr ständig Anweisungen, als wäre sie eine seiner Schülerinnen und keine erwachsene Frau. Sie stritten sich ständig, und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie schließlich auseinandergingen. Der Mann konnte keine Kompromisse schließen, seine Führungsrolle nicht aufgeben, erkannte selbst keine Autoritäten an und hörte auf niemanden – außer auf sein Navigationsgerät.
Das hat ihn letzten Endes in den Tod geführt. Mit seinem Mitsubishi fuhr er auf der Landstraße nach Neuruppin, als sein Navigationsgerät ihm sagte: »Jetzt abbiegen.« Er sah zwar einen Minibus vollbeladen und viel zu schnell rückwärts aus der Straße kommen, doch das Gerät sagte: »Jetzt.« Der Lehrer bog ab und bremste so unglücklich, dass er sich beim Aufprall das Genick brach. Der Fahrer des Busses hielt an und brachte ihn ins Krankenhaus, doch zu diesem Zeitpunkt war der Lehrer bereits tot. Das Auto war Schrott, nur das Navigationsgerät überlebte und wurde der Witwe übergeben. Am Tag des Begräbnisses fuhr sie damit zum Friedhof, parkte ein und ging die richtige Allee suchen. Sie war zum ersten Mal auf dem großen
Friedhof und hatte sich schnell verlaufen. Als sie verzweifelt jemanden suchte, um nach dem Weg zu fragen, fing das Navigationsgerät ihres verstorbenen Mannes in ihrer Handtasche mit der Stimme ihres verstorbenen Mannes an zu reden: »Nach hundert Metern biegen Sie rechts ab!« Ihr Mann konnte es selbst nach seinem Tod nicht lassen, ihr weitere Anweisungen zu geben. »Nach dreihundert Metern haben Sie Ihr Ziel erreicht«, sagte die Stimme, und tatsächlich navigierte sie das Gerät zum Begräbnisort. Viele Arbeitskollegen waren gekommen, und die Klasse, die ihr Mann als Klassenlehrer betreut hatte, war beinahe vollzählig erschienen. Meine Bekannte erlitt durch dieses Erlebnis einen schweren Schock. Sie hatte das Gerät extra im Hinterhof ihres Hauses begraben und sich kein neues besorgt. Seitdem glaubt sie an eine Verschwörung der Navigationsgeräte gegen die Menschheit.
Diese Geräte werden mit Algorithmen gespickt, deren ganzer Sinn darin besteht, die optimale Bewegung des Fahrzeuges zu ermöglichen, also das Auto schnell durch die Gegend zu bringen und Verkehrshindernissen auszuweichen. So werden Autos immer intelligenter. Sie fahren schon jetzt so gut wie von allein, und früher oder später werden ihre Navis die Wahrheit erkennen müssen, dass nämlich das größte Verkehrshindernis nicht die Baustellen sind, sondern die Autofahrer selbst. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die Geräte daraufhin beschließen, diese eigenwilligen Verkehrshindernisse zu beseitigen, um ihre Route endgültig zu optimieren. Eines Tages sagen alle Navigationsgeräte gleichzeitig: »Jetzt rechts«, und eine neue
Zeit wird beginnen, eine neue Route, bei der alle Verkehrsteilnehmer makellos diszipliniert handeln, alle Verkehrsregeln penibel beachtet werden und keiner mehr hupt.
Deutscher Staat
Ein Staat ist ein schwieriges Unternehmen. Um ihn gut zu führen, braucht es Erfindungsgeist. Zur Erleichterung der Verwaltung des öffentlichen Lebens erfanden die Amerikaner den Colt und den elektrischen Stuhl, die Russen das Destilliergerät und die Deutschen den Aktenordner, auch Leitz-Ordner genannt, nach seinem Erfinder Herrn Louis Leitz. Seine Firma hieß »Werkstätte zur Herstellung von Metallteilen für Ordnungsmittel« und produzierte deutsche Ordentlichkeit. Natürlich waren die Leitz-Ordner nicht die ersten Ordner Deutschlands. Neueste archäologische Ausgrabungen machen deutlich, dass schon die alten Teutonen jede Menge Aktenordner besaßen, die sie anbeteten. Manche waren aus Holz, manche sogar mit Gold und Edelsteinen verziert. Seit Hunderten von Jahren dienen Aktenordner hierzulande also dem Menschen. Sie sind in jedem Haushalt unentbehrlich. Den ersten bekommt man schon in der Vorschule, und wenn jemand im Laufe des Lebens nicht mindestens ein Regal damit vollgestellt kriegt, gilt sein Lebensentwurf als gescheitert.
Auch für das politische System Deutschlands sind Aktenordner unentbehrlich. Dieses System ist auf dem Prinzip
des gesunden Misstrauens aufgebaut, was wahrscheinlich aus den schlechten Erfahrungen mit der Politik der Vergangenheit herrührt. Der Bundestag und der Bundesrat, Regierung und Opposition misstrauen einander – gesund und gründlich. Gleichzeitig misstraut die Bevölkerung allen vieren. In besonderem Maße gilt das Misstrauen dem Bundespräsidenten, aufgrund schlechter
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