Liebesgruesse aus Deutschland
erst einmal auseinandernehmen, um zu sehen, warum die Kuh so laut lacht und wieso der Hase laufen kann. Sie schauen in den Hasen, sie schauen in die Kuh, so lange, bis der Hase nicht mehr läuft und die Kuh für immer aufhört zu lachen. Russen vermeiden es, den Dingen auf den Grund zu gehen, denn die große Lehre des letzten Jahrhunderts war: je besser das Äußere, desto schlimmer der Inhalt. Egal ob Spielzeug, technische Geräte, Lebensmittel oder Ideen zur Verbesserung der Welt, sie wissen: je prachtvoller die Verpackung, desto trauriger der Inhalt. Ihre historische
Erfahrung sagt ihnen, man darf nicht zu tief bohren, man sollte nicht alles ganz genau wissen wollen.
In Deutschland will man jedoch alles genau wissen. Mein Sohn Sebastian sollte im Biologieunterricht eigenhändig zehn Würmer präparieren. Das überstieg seine Kräfte. Zum einen taten ihm die Würmer leid, zum anderen wollte er so genau gar nicht wissen, welche Schätze sie in ihrem Inneren verbargen. Seine Biologielehrerin hatte aber die Aufgabe präzise gestellt. Sebastian sollte sich zuerst in einem Zooladen am Weddinger U-Bahnhof Gesundbrunnen zehn Würmer der bei Lehrern besonders beliebten Art Zophoba morio besorgen. Diese sollten dann in die Schule gebracht werden, wo man sie nicht gleich töten würde, wie mir Sebastian erklärte, sondern zuerst langsam foltern, um sie am Ende eines qualvollen Todes sterben zu lassen. Die Schüler sollten daraufhin die Würmer auseinandernehmen und ihre Innereien untersuchen.
»Könntest du mir nicht eine Entschuldigung schreiben, dass ich aus religiöser Überzeugung, die unserer Familie zu eigen ist, keine Würmer foltern darf?«, fragte mich Sebastian hoffnungsvoll.
Ich nahm ein Blatt Papier und schrieb: »Sehr geehrte Frau Biologielehrerin, es tut mir leid, mich in Ihren Unterricht einzumischen, aber nach der religiösen Überzeugung unserer Familie ist jedes Leben heilig und unantastbar. Deswegen darf mein Sohn Sebastian leider keine Würmer foltern. Ich bitte Sie um Verständnis.«
Natürlich war das eine glatte Lüge. Meine Kindheit und Jugend habe ich in einem atheistischen Land verbracht.
Wir studierten Marxismus-Leninismus statt Gottesworte und gingen am Sonntag in die Disko, nicht in die Kirche. Allerdings sezierten wir auch keine Würmer in der Schule, stattdessen gab es einen Frosch, den wir auseinandernehmen mussten. Der Frosch war unheimlich alt und wahrscheinlich noch im Bürgerkrieg 1920 umgekommen. Mehrere Generationen Schüler hatten sich bereits an dieser Leiche vergangen, um die Froschinnereien zu studieren. Wahrscheinlich nähte unsere Lehrerin den Frosch jedes Jahr wieder zusammen, wobei er der ursprünglichen Froschform jedes Mal unähnlicher wurde. Jeder musste den Frosch, wenn nicht aufschlitzen, dann mindestens einmal anfassen, um in diese biologische Bruderschaft aufgenommen zu werden. Damals konnten mir meine Eltern nicht mit einer Entschuldigung helfen, denn religiöse Gefühle waren keine gültige Ausrede, außerdem durfte ohnehin niemand von der Hauptlinie abweichende Überzeugungen besitzen.
Meine Heimat war eine Diktatur, die Diktatur der Froschfolterer. In einer Demokratie jedoch müsste ein solcher Brief funktionieren, dachte ich. Und tatsächlich kam Sebastian am nächsten Tag sogar zwei Stunden früher von der Schule nach Hause. Die Lehrerin hatte meinen Brief gelesen, die Entschuldigung akzeptiert und Sebastian vom Unterricht befreit, denn er durfte auch nicht mit ansehen, wie die anderen Schüler ihre Würmer foltern. Anschließend wollte die Lehrerin von ihm wissen, zu welcher Konfession seine Familie gehört. Sebastian überlegte kurz und sagte, ohne rot zu werden: »Buddhismus.« Die Lehrerin
wunderte sich, wie weit der Buddhismus inzwischen fortgeschritten war, woraufhin Sebastian präzisierte, es handle sich in unserem speziellen Fall um den sogenannten russischen Buddhismus, auch als Samowar-Buddhismus bekannt. Seine oberste Regel laute: Du darfst keine Würmer foltern.
Nächste Woche ist Elternversammlung. Ich weiß nicht, was ich anziehen soll.
Im Land der Ideen
Die Bewohner der mittelfränkischen Stadt Lauf bereiten ihren Karpfen wie die Wiener ihr Wiener Schnitzel zu – konsequent. Sie machen den Karpfen platt, indem der Fisch in zwei Hälften längs zerschnitten wird. Danach wird jede Hälfte paniert und in den Zustand einer radikalen Knusprigkeit versetzt. Diese Karpfen, die im Gasthof Zur Post auf keinem Teller fehlten, als gäbe es in dem ganzen
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