Liebesgruesse aus Deutschland
Berlin, wo die Mitarbeiter Wasser sparen sollen, sodass es unter der Woche immer nur halb voll ist. Das Bad in Lauf war dagegen randvoll mit Wasser und Menschen. Die Bewohner schwammen in alle Richtungen, ohne Markierung und ohne Bahnen, mit geschlossenen Augen, aber immer nett aneinander vorbei. Es sah aus wie Unterwasserballett, als ob sie alle zusammengehören würden. Wie schaffen sie das, immer so nett aneinander vorbeizuschwimmen?, überlegte ich. Vielleicht ist diese Ordnung der natürliche Zustand der Welt, und nur diejenigen, die sich zu viele Gedanken darüber machen, können es nicht mehr. Heinrich von Kleist vermutete bereits Ähnliches. Man muss Vertrauen in die Weltordnung haben, dachte ich, schloss die Augen und sprang ins Wasser. Sofort kollidierte ich mit einer großen Frau, die nach Tintenfischart das Becken durchquerte. Sie tauchte unter, war sichtlich geschockt, fand jedoch schnell zu ihrem ursprünglichen Tempo zurück.
Viele Bewohner von Lauf kamen zu meiner Lesung – sie war übrigens kostenlos. Anfangs spielte die regionale Jazzband, danach sprach der Bürgermeister, dann der Vertreter der Deutschen Bank, und dann las ich ein wenig vor. Später feierten wir das alles in kleiner Runde.
»Auf Lauf!«, erhob ich das Weinglas.
»Auflauf! Auflauf!«, wiederholten die Gäste.
Ich trank noch einen Schnaps auf Lauf.
Der Deutsche-Bank-Vertreter erzählte, auch er habe ein Buch geschrieben, ein Sachbuch, Das Leben in der Balance, und suche dafür nach einem Verleger.
Ich habe sehr gut geschlafen in Lauf, einer ruhigen, leisen Stadt. Anders als die Berliner machen die Läufer so gut wie überhaupt keinen Krach. Dafür haben sie zwei Bahnhöfe, »Lauf links Pegnitz« und »Lauf rechts Pegnitz«, wer hätte das gedacht? Ich bin zum falschen Bahnhof gegangen, hätte aber den Zug noch erreichen können, wenn ich ganz schnell durch die Stadt gelaufen wäre. Aber durch Lauf zu laufen kam mir irgendwie komisch vor.
Stirb langsam
Am späten Heiligen Abend, im Grunde war es bereits die Heilige Nacht, kurz nach Mitternacht, gab das Handy meiner Frau Olga ein kleines Klingeltonkonzert. Sie ging ran, und ihre beste Freundin, ebenfalls eine Olga, schluchzte in den Hörer, ihr Kater sei nach seiner langen Krankheit so etwas wie fast ganz tot.
Olga wohnte in Friedrichshain zusammen mit ihrer Tochter Melanie und einem sehr alten Kater namens Johann Wolfgang. Seinen Namen hatte er wegen der angeblichen Ähnlichkeit mit dem größten deutschen Dichter aller Zeiten bekommen, ich konnte allerdings diese Ähnlichkeit nicht erkennen. Der Kater war die letzten hundert Jahre seines Lebens schwer krank und lag wegen fortschreitender Altersschwäche, Epilepsie und Diabetes permanent im Sterben. Es war jedem schon lange klar, Johann starb, aber er tat es sehr langsam. Er lag nicht einmal richtig im Sterben, sondern wackelte im Sterben von Zimmer zu Zimmer, kippte an jeder Ecke um, rappelte sich hoch, erbrach sich auf den Teppich und machte für Katzen ungewöhnliche Geräusche. Er pfiff, kicherte und grunzte. Zweimal am Tag bekam er von seiner Besitzerin Olga eine Insulinspritze
und versuchte dabei, mit letzter Kraft die heilende Hand zu beißen.
Das langsame Sterben von Johann Wolfgang war ein trauriger Anblick und bescherte Olga und ihrer Tochter große seelische Schmerzen. Wie Bruce Willis im gleichnamigen Film inszenierte sich der Kater als Held und wollte in der Öffentlichkeit leiden. Anstatt sich eine dunkle Ecke in der Wohnung zu suchen, das Maul zur Wand zu drehen, dort nach »Mehr Licht!« zu rufen oder bloß ein letztes Mal zu miauen und in Würde die Augen zu schließen, ging Johann Wolfgang auf Olga und ihre Tochter zu, schaute beiden Frauen mit seinen großen dunklen Augen direkt in die Seele, kotzte dabei und pinkelte unter sich. Die Tierärzte, die den Kater jeden Monat untersuchten, verdienten sich dumm und dämlich an ihm.
Am späten Heiligen Abend packte der Tod den Kater aber schließlich am Kragen, berichtete Olga. Plötzlich rannte Johann Wolfgang kreuz und quer durch die ganze Wohnung wie verrückt, versuchte, aufs Fensterbrett zu springen, fiel um, stand auf, ging in die Küche und fiel dort erneut um, mit dem Gesicht in die Schale mit Trockenfutter. Danach stand er nicht wieder auf, atmete aber noch. Olga konnte diesen Anblick nicht ertragen. Dabei konnte sie nicht einmal die diensthabende notärztliche Tierarztpraxis ausfindig machen, die am Heiligen Abend in Berlin geöffnet hatte. Ihr
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