Liebesgruesse aus Deutschland
meinem Rücken die Fans der 1.FC Union vom Gleimtunnel fernzuhalten, und die Fans skandierten laut: »Wichser! Wichser!«
»Und manchmal erlauben sich die Polizeibeamten einen kleinen Spaß mit den Fußballfans, wenn das Wetter mitspielt«, erzählte ich ungerührt weiter. Ich wollte ja irgendwie auf das Thema Bäume kommen, dieses Interview schnell zu Ende bringen und nichts wie weg hier.
»Das glaubt uns kein Mensch, dass wir das nicht nachgestellt haben«, japste der Kameramann vor Glück und filmte nach alle Seiten. Die Situation um unser kleines Kamerateam herum eskalierte mit jeder weiteren Sekunde.
»… nur sehr wenig los im Mauerpark, wie gesagt, man sieht hier kaum Bäume, nur Hunde …«, murmelte ich und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie eine riesige Kolonne von Dynamo-Dresden-Fans aus dem Gleimtunnel direkt auf uns zukam. »Manchmal kommen auch ein paar Sachsen vorbei, aber nur wenn Fußball gespielt wird«, beendete ich den Satz mit einem deutlichen Jucken unter
den Füßen. Die Fans von Dynamo Dresden blieben vor unserer Kamera stehen, skandierten selbstvergessen »Selber Wichser !«, wobei sie sicher die anderen Fans meinten. Plötzlich sprangen zwei Jungs in schwarzen Kapuzen aus der Menge der Fans zu mir.
»Bist du etwa Wladimir Kaminer, der Schriftsteller?«, schrie mir einer ins Ohr.
»Wir haben deine Bücher gelesen, hey, geil, dass du auch hier bist!«, riefen die Sachsen und schmissen sich mir an den Hals.
Wir umarmten uns kurz. Ich war gerührt wie noch nie im Leben. Scheiß auf die Mauer, dachte ich, scheiß auf die Bäume, scheiß auf Aspekte, es lebe die Literatur und der Fußball. So dachte ich, sagte aber nichts, grinste nur freundlich.
Die Lugente und der japanische Polizist
Die Klasse meiner Tochter besuchte im Deutschunterricht die Redaktion einer großen Zeitung, um die Wortarbeiter direkt an ihrem Arbeitsplatz zu bewundern. Sie wurden von einem freundlichen molligen Mann in Empfang genommen und durch fast alle Abteilungen der Zeitung geführt. Die Kinder besuchten die Ressorts Politik, Wirtschaft und Finanzen, nur der Abteilung Kultur durften sie nicht nahe kommen – wegen der Sensibilität der Kulturmitarbeiter. Die würden sich zu sehr aufregen, wenn sie so viele Kinder sähen, erklärte der Mollige. Die Schüler konnten die Kultur also nur aus der Ferne beobachten, dabei sahen sie, dass die Kulturmitarbeiter, anders als ihre Kollegen aus Wirtschaft und Politik, alle ein eigenes kleines Bürochen besaßen.
»Man darf sie nicht in einem Zimmer zusammenbringen«, erklärte der Mollige. »Sonst fangen sie sofort an, über Kultur zu streiten bzw. endlos zu diskutieren und werden dann nie vor Redaktionsschluss fertig. Kultur ist eine individuelle Angelegenheit«, meinte er, während die Meinungen über Wirtschaft, Finanzen und Politik am besten in einem gemeinsamen Raum ausdiskutiert wurden. »Die
wichtigsten Seiten jeder Zeitung bestehen aber nicht aus Diskussionen und Meinungen, sondern aus Werbeanzeigen«, meinte der Mollige, der selbst in der Werbeabteilung der Zeitung arbeitete. »Diese Annoncen sind das tägliche Brot jeder Zeitung, ihr Hauptgewinn. Nicht die Kultur, die Annoncen ernähren die Mitarbeiter«, bemerkte er und zwinkerte den Kindern zu. »Die wichtigste Seite unserer Zeitung ist zur Zeit eine Doppelseite mit Aldi-Werbung für schönen Käse, Katzenfutter und Wurst, alles sehr preiswert und gut fotografiert. Für diese Seite zahlt Aldi zehntausend Euro. Erscheint die Zeitung dreißigmal im Monat, kommt da eine beträchtliche Summe zusammen. Die Mitarbeiter von Kultur, Finanzen oder Politik können dann einkaufen gehen, Käse, Katzenfutter und Wurst. Zum Glück wissen sie aus ihrer eigenen Zeitung, wo sie das alles preiswert kriegen.«
Unten in der Lobby stand ein Souvenirkiosk voller Plüschtiere, vor allem Enten gab es dort jede Menge.
»Wenn die Mitarbeiter der Zeitung merken, dass sie zu spät nach Hause kommen, kaufen sie ihren Frauen und Kindern zur Entschuldigung ein Plüschtier«, erklärte der Mollige. »Zum Beispiel eine Zeitungsente, um damit ihrer Liebsten zu sagen: ›Siehste, ich habe die ganze Nacht gearbeitet und dabei nur an dich gedacht.‹«
Nebenbei erfuhr meine Tochter auch noch, dass der Begriff »Zeitungsente« Falschmeldung bedeutete und aus dem Englischen kam – von der Abkürzung für »not testified«. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten die Alliierten angeblich den deutschen Zeitungen misstraut und sie gezwungen,
unter viele
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