Liebesgruesse aus Deutschland
einer Wohnung ohne Vorwarnung laut wird, drehen die Nachbarn sofort durch. Sie schlagen mit ihren Köpfen gegen die Wand, zünden das Haus an und rufen die Polizei.
Gleich nach der Geburt wird hier die Frage der möglichen künstlichen Beatmung im Alter diskutiert, sowie die in Frage kommenden zukünftigen Pflegestufen, weil ja jedes Kind früher oder später alt sein wird, d.h. wenn alles nach Plan läuft. Um hier alt zu werden, muss es aber sehr viele Formulare ausfüllen, unzählige Versicherungen abschließen und Einverständniserklärungen erteilen. Sobald ein Mensch hierzulande schreiben bzw. unterschreiben kann, wird er jeden Tag seines Lebens ausfüllen und unterschreiben, ausfüllen und unterschreiben, ausfüllen und unterschreiben.
Mein Kind geht aufs Gymnasium, und ich gebe ihm täglich eine unterschriebene Einverständniserklärung mit. »Damit Ihr Kind Benutzer der Bibliothek werden kann«, »Um die Fotos Ihres Kindes in der Wandzeitung abdrucken zu dürfen«, »Um am Schwimmunterricht teilnehmen zu dürfen« – nur zu: Ich unterschreibe alles.
Gestern bestellte ich in einer Eckkneipe ein volkstümliches Gericht, den Strammen Max, ein mit Eiern und Schinken belegtes Brot. »Aber bitte mit einer Scheibe Brot statt zwei«, präzisierte ich.
»Eine Scheibe statt zwei? Wie? Eine statt zwei?« Der Kellner dachte heftig nach, ob und wie es möglich wäre, einen Strammen Max mit einer Scheibe statt mit zweien zu machen. Es ging beim besten Willen nicht, nein, es war »eine gastronomische Sackgasse«. Etwas verstört schaute er mich an. Natürlich zog ich sofort meine Bestellung zurück, der Stramme Max soll so bleiben, wie er immer ist: mit zwei Scheiben Brot und zwei Spiegeleiern drauf.
»Na und«, wird mancher Leser vielleicht sagen, »was ist so schlecht an der Liebe zur Ordnung? Warum soll nicht alles nach Plan laufen?«
Das eigentliche deutsche Drama besteht darin, dass es eben so gut wie nie nach Plan läuft. Das Leben steckt voller Überraschungen. Auch Mutter Natur handelt ungenau, der Wind weht mal von rechts und mal von links, die Sterne sind mal mehr und mal weniger am Himmel zu sehen, und manchmal geht die Sonne später bzw. früher auf als erwartet, trotz der Zeitumstellung. Selbst wenn man jeden Tag zweimal die Straße fegt, bleibt immer irgendwo Müll liegen, irgendwelche Hunde laufen immer ohne Leine herum, und es gibt immer Menschen, die sich auf frisch gestrichene Bänke setzen, weil es ihnen Spaß macht. Es ist zum Verrücktwerden. Um in diesem Chaos zur Ruhe zu kommen, versteckt sich der Deutsche in seinem
kleinen Schrebergarten. Dort kann er seine Utopie einer absoluten Ordnung verwirklichen. Dort pflanzt er und schneidet und gießt und pflanzt.
Am Mauerpark
In Berlin wohne ich am Mauerpark, einem Streifen Erde, auf dem früher die Berliner Mauer stand. Dort ist jetzt ein Flohmarkt. Niemand weiß inzwischen mehr, wo die Mauer genau stand, links vom Flohmarkt oder rechts vom Flohmarkt. Der Mauerpark wird zwar in jedem Reiseführer der Hauptstadt erwähnt, bietet aber wenig Sehenswürdiges. Er ist kein Park, und es gibt da auch keine Mauer, es ist quasi eine unsichtbare Sehenswürdigkeit, typisch für Berlin.
Meine Nachbarn, alles junge engagierte Internetdesigner, gründeten eine Bürgerinitiative zur Bepflanzung des Mauerparks, um dem gehaltvollen Namen des Ortes einen Sinn zu geben. Obwohl eine Initiative zum Wiederaufbau der Mauer diesem Zweck eigentlich besser entsprochen hätte. Doch selbst mit dem bescheidenen Wunsch der Bepflanzung sind unsere Mitbürger gescheitert. Die Leitung des Bezirkes hielt dagegen. Die Immobilienverhältnisse im Mauerpark seien noch immer nicht ganz geklärt, hieß es. Man wisse nicht, welche Seite des Mauerparks wem gehöre, der Deutschen Bank, der Allianz-Versicherung, beiden gleichermaßen oder nur je zur Hälfte. Außerdem gäbe
es Pläne, die eine Seite an die andere Seite zu verkaufen. Die kapitalistische Gierschlange, die bekanntermaßen ihren eigenen Schwanz zu schlucken versucht, hielt den Mauerpark fest im Maul. Statt ein paar neue Bäume anzusiedeln, wurden sogar auf Geheiß des Bezirksamtes die letzten Bäume auf unserer Straße gegenüber dem Mauerpark gefällt – mit der skurrilen Begründung, sie seien »zu alt und zu krank«. Wenn nämlich diese alten kranken DDR-Bäume, die noch im Sozialismus mit Gott weiß welchen gefährlichen deutschdemokratischen Düngestoffen präpariert worden waren, nun infolge eines Gewitters auf
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