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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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leicht passieren können, dass jemand eine Bank ausgeraubt, aber unterwegs seine Beute verloren oder aber beschlossen hatte, sie zu verstecken – in der Sumpfgrube hinter unserem Haus. Auch dachte ich an amerikanische Spione, an die »Agenten des Kapitals«, wie man sie in der Zeitung brandmarkte. Irgendwo mussten sie doch ihr Kapital verstecken, warum nicht in der Sumpfgrube hinter unserem Haus? Diese Grube
war ein ideales Versteck für Fremdkapital, ich hätte mein Geld bestimmt dort gebunkert, aber ich hatte keins. Ich fand lange Zeit nichts und kam nur immer wieder in nassen, schmutzigen Klamotten nach Hause, worüber meine Mutter schimpfte. Einmal, als ich Natascha G. wie üblich nach Hause brachte, sah ich direkt vor ihrem Haus einen Dreirubelschein in einer Pfütze liegen. Es waren nicht tausend Rubel, aber es war dennoch viel Geld. So viel wie dreißig Päckchen Kartoffelchips oder dreißig Fruchteisbecher mit Birkensirup oder dreißig Karten für eine Vormittagsaufführung für Hörgeschädigte im Filmtheater Brest.
    »Tschüss dann, bis morgen«, sagte ich zu Natascha G.
    »Tschüss«, sagte sie, bewegte sich aber kein bisschen.
    »Dann tschüss, bis morgen, tschüss«, wiederholte ich.
    »Geh jetzt, hau ab«, sagte sie.
    Wir standen einander gegenüber, und keiner wollte gehen. Natascha G. hatte eine gute Beobachtungsgabe, sie hatte den Geldschein auch bemerkt. Mir war das nur recht, ich wollte ihr sowieso ein Drittel geben, später. Wir sind dann zu dem Lebensmittelladen gegangen und haben dort den Schein gewechselt. Jeder bekam einen Rubel fünfzig. Eigentlich eine gerechte Lösung, aber die Brücke war abgebrannt, und mit der Liebe war es ab da auch aus und vorbei.

Die Erfindung des Rades
    Mein afghanischer Bekannter, der als Kind von seinen Eltern aus Afghanistan nach Deutschland verschleppt wurde und in Hamburg aufgewachsen ist, erzählte mir einmal, dass seine Eltern, die ein gut gehendes indisches Restaurant in Hamburg führten, selbst noch nie essen gegangen waren, kein einziges Mal in zwanzig Jahren. Wenn sie auskundschaften wollten, wie es bei der Konkurrenz schmeckte, schickten sie ihren assimilierten Sohn.
    »Asiaten sind ortsgebundene, häusliche Leute, sie essen am liebsten das, was ihnen ihre Mutter, ihre Frau oder ihre Schwester zubereitet hat«, klärte mich mein afghanischer Freund auf.
    Sogar die Computer-Inder, die in den großen europäischen oder amerikanischen Firmen arbeiten, gehen in der Mittagspause nicht in die Pizzeria, sie essen das, was sie von zu Hause in einer Dose mitgebracht haben. Mein arabischer Freund musste als Kind zusammen mit seinen Eltern Palästina verlassen, weil ihr Dorf unglücklich zwischen die Fronten geraten war und Woche für Woche von zwei Seiten beschossen wurde. Er geht selten essen, dann aber richtig. Tagelang kann er sich nur von trockenem
Brot und Leitungswasser ernähren, aber am Wochenende geht er aus und feiert dann gleich die ganze Nacht durch, das gesamte Programm aus 1001 Nacht auf fünfeinhalb Stunden komprimiert. Seinen Lebensstil erklärt er mit seinen Vorfahren, die angeblich Nomaden waren. Sie ritten mit ihren Kamelen durch die Wüste auf der Suche nach einer Oase. Unterwegs konnten sie viel ertragen, aber die Oase musste dann auch den kühnsten Erwartungen standhalten. Dubai ist ein solcher wahr gewordener Traum von einer perfekten Oase in der Wüste. Wer diese Stadt kennt, weiß, wovon ich spreche.
    Ganz anders verhält es sich mit meinen deutschen Freunden, die jeden Tag woanders essen. Die meisten Berufsgruppen sind in Deutschland mobil, d.h. permanent am Ausgehen: Kleinhändler, Messeveranstalter, Versicherungsvertreter, Lohnarbeiter, Steuereintreiber, Beamte aus zahllosen Ämtern. Sie haben ein eigenes Nomadentum entwickelt, dessen Oase »Gemütlichkeit« heißt. Die deutsche Gemütlichkeit ist sehr speziell und bedeutet in der Regel die Möglichkeit, an jeder Ecke und zu jeder Zeit in gut beheizten Räumen deftige Sachen zu essen, die eine längere Verdauungszeit in Anspruch nehmen. Zum Beispiel Schweinebauch mit Pfefferknacker und Sauerkraut auf Kartoffelsalat. Oder geräucherte, kurz angebratene Gänsebrust mit Pellkartoffeln und Bohnen oder Eisbein oder was weiß ich – das bringt uns jetzt nur vom Thema ab.
    Die Beamtennomaden haben eine intakte Infrastruktur für die lückenlose Zubereitung und den Verzehr von deftigen
Sachen entwickelt, d. h. das Land flächendeckend mit kleinen rustikalen Kneipen überzogen, um maximale

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