Liebesgruesse aus Deutschland
Gemütlichkeit mit minimalstem Aufwand zu erreichen. Für eine vollkommene Gemütlichkeit braucht man allerdings ein paar Bier und ein paar Schnäpse hinterher. Das macht das Fahren schwierig. Um sich in der Kneipe einen hinter die Binde kippen zu können und trotzdem mobil zu bleiben, haben die Deutschen das Fahrrad erfunden. Es war der Mannheimer Adelige Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn, der als Forstbeamter diente und nebenbei vor fast zweihundert Jahren das Fahrrad erfand! Die Russen, Chinesen und Engländer werden das bestimmt bestreiten.
»Der Glaubenssatz, dass das Fahrrad an mehreren Orten gleichzeitig erfunden worden sei, ist falsch. Es gab bloß gleichzeitig an mehreren Orten den chauvinistischen Drang, die Prioritäten zu fälschen«, schreibt Deutschlands berühmtester Fahrradexperte Professor Hans-Erhard Lessing in seinem Buch Faszination Fahrrad .
Ich würde sagen, dass jedes Volk das Fahrrad bekommt, das seinem Selbstverständnis am besten entspricht, seinen Vorstellungen von Mobilität. Jedem Volk sein Fahrrad. Das deutsche Rad, »die Laufmaschine von Drais« genannt, war sicher und bodenständig. Es konnte unter keinen Umständen kippen, da der Fahrer mit beiden Füßen auf der Erde stand. Die Erfindung von Drais wurde aus der Notwendigkeit geboren und hatte eine Naturkatastrophe zum Hintergrund. Anfang des 18. Jahrhunderts ereignete sich eine Vulkanexplosion auf den Sunda-Inseln, die Unmengen
von Asche in die Atmosphäre schleuderte: Der Himmel wurde schwarz, und mitten im Sommer lag überall Schnee auf den Feldern. Es ging in Richtung globale Erkältung, der Hafer wurde knapp, die Menschen hungerten, und viele Pferde mussten notgeschlachtet werden. Um die schwindende Gemütlichkeit wiederherzustellen, erfand Karl Friedrich Ludwig seine Laufmaschine – zwei Holzräder hintereinander, ohne Kette und ohne Pedale, dafür aber mit einer Seilbremse. Man musste sich mit beiden Füßen vom Boden abstoßen, um die Laufmaschine in Bewegung zu setzen.
Dadurch hat der Erfinder eines der größten Probleme der damaligen Zeit geschickt umgangen: das Problem der Balance. Die Deutschen des 18. Jahrhunderts waren das Balancieren nicht gewohnt. Männer hatten große Probleme damit, und für Frauen galt das Balancieren gar als extrem unsittlich. Deswegen wurden sie in Deutschland auch bis in das 19. Jahrhundert hinein vom Schlittschuhlaufen ausgeschlossen. Der Erfinder der Laufmaschine absolvierte persönlich eine Probefahrt. Er fuhr dreizehn Kilometer von Mannheim nach Schwetzingen und zurück. Trotzdem verlief die Durchsetzung seiner Laufmaschine und ihre weitere Entwicklung nicht reibungslos. Zuerst hatten die Männer Angst, sich lächerlich zu machen. Später trauten sie sich sehr lange nicht, die Füße vom Boden zu nehmen, wenn sie auf der Laufmaschine saßen. Außerdem kursierten Gerüchte in der Öffentlichkeit, dass Fahrradfahren impotent machen würde. Der Erfinder selbst wurde verleumdet und lächerlich gemacht, indem man
ständig neue unglaubwürdige Geschichten über ihn erfand. Viel Zeit musste vergehen, bis sich die Mannheimer Erfindung verselbstständigte und in millionenfacher Ausfertigung zum meistverkauften Fahrzeug der Welt aufstieg. Heute hat jeder Chinese ein Fahrrad und fast jeder Inder, die Araber haben dagegen kaum Fahrräder. Ich habe dafür zwei.
Zelten in Brandenburg
»Warum müssen wir immer auf diese anstrengenden Weltreisen gehen, Paris, London, Rom? Können wir nicht einmal wie eine ganz normale deutsche Familie Urlaub machen ?«, fragte meine Tochter.
»Wie meinst du das, Nicole, wie macht eine ganz normale deutsche Familie Urlaub?«, fragte ich irritiert nach.
»In Brandenburg zelten!«, klärte mich das Kind auf.
Ich weiß, woher sie ihre Informationen über die Freizeitaktivitäten der Ganznormaldeutschen bezieht, von ihrer Schulfreundin Mari, einem großwüchsigen Mädchen, bei dem niemand auf die Idee käme, es wäre erst elf. Der Vater von Mari ist Polizist, die Mutter Grundschullehrerin, ein perfektes Erziehungsteam. Beide sind Berufspädagogen, der Vater geht mit dem Schlagstock zur Arbeit, die Mutter mit dem Zeigestock. Vor fünf Jahren sind sie mit ihrer Tochter nach Thailand geflogen, um fremden Kulturen einmal persönlich zu begegnen, sonst zelten sie immer in Brandenburg, wenn sie Urlaub haben – und zwar nur auf ausgewählten Zeltplätzen. Die Mari-Familie ist aber auch schon fast die einzige normale deutsche Familie in unserem
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