Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
Feller.«
Offensichtlich erhob Kusak Anspruch auf die Stelle des Alphatiers in diesem Rudel von Raubtieren. Die Rußlanddeutschen hatte er schon auf seiner Seite, denn plötzlich lungerten drei von ihnen auf dem Gang herum und schirmten scheinbar zufällig die Wand ab, an der der Draht entlanglief, mit dem man den Alarm auslösen konnte. Was Lukas selbstverständlich nicht einfallen würde. Aber es waren hier nicht der Ort und nicht die Zeit für einen Übergriff. Soeben kam die Bedienstete mit der Aufschrift M. Klosa auf ihrem Namensschild aus dem Stationsbüro und witterte sofort, daß Stunk in der Luft lag.
»Was gibt es denn da?« fragte sie.
»Mir ist der Katalog runtergefallen«, antwortete Lukas.
»Ich werde mich darum kümmern. Sie haben Post, Herr Feller, kommen Sie bitte mit.«
Lukas ließ Kusak und seine Trabanten stehen und folgte Klosa. Seit die Station überwiegend von Frauen betreut wurde, hatten sich Umgangston und Sauberkeit gebessert.
Lukas setzte sich auf einen der vier Stühle vor dem Doppelschreibtisch. Klosas Kollegin schaute konzentriert auf den Bildschirm und nickte ihm nur kurz zu, ohne den Blick zu heben. M. Klosa nahm ihm gegenüber Platz. Das M stand für Marion, und das war so ziemlich alles, was man über die junge Beamtin wußte. Ob sie mit dem gleichnamigen Polizeipräsidenten verwandt war? Das Vollzugspersonal war angewiesen, den Inhaftierten nichts Persönliches zu erzählen, und besonders die Frauen achteten sehr auf die notwendige Distanz. Tief drinnen saß die Angst, das wußte Lukas, auch wenn sie alle sehr selbstbewußt auftraten. Klosa war nur einssechzig groß, und neulich hatte Lukas zu ihr gesagt: »Ihre Schlüsselkette ist zu lang. Jemand könnte sie Ihnen um den Hals wickeln.« Seitdem trug sie eine kürzere Kette.
Klosa schlitzte den Brief vor seinen Augen auf und schüttelte den Inhalt aus dem Umschlag: eine Seite hellblaues Briefpapier, beschrieben mit einer naiven, runden Frauenschrift, dazu ein Foto. Klosas Blick streifte es kurz, aber sie sagte nichts, sondern prüfte, ob sich in dem Umschlag noch etwas Verbotenes befand.
»In Ordnung«, sagte sie und reichte ihm seine Post. Aber dann konnte sie sich nicht verkneifen zu fragen: »Was finden diese Frauen nur an euch?«
Lukas zuckte die Achseln und drehte die Handflächen nach oben. »Sagen Sie es mir.«
»Ich weiß es nicht. Ich bin ja kein Mörder-Groupie.«
»Sicher?«
Sie warf ihm einen warnenden Blick zu und stand auf, Lukas ebenfalls. Der Gang draußen war leer, von Kusak war nichts zu sehen. Der Katalog lag nicht mehr im Netz.
Er brachte den Brief in seine Zelle. Die acht Quadratmeter Boden glänzten feucht, die Kaffeemaschine blubberte. Karim streckte den Kopf hinter dem Vorhang der Toilette hervor.
»Was schaust du so?«
Es war ein ungeschriebenes Gesetz, niemals ohne Erlaubnis einen fremden Haftraum zu betreten, und nur ein Dummkopf würde sich ausgerechnet den von Lukas Feller für so einen Fehltritt aussuchen.
»Man ist vorsichtig«, sagte Karim.
Lukas legte den Brief auf den winzigen Schreibtisch. Karim würde ihn nicht anrühren. Er nahm sich Kaffee, ging auf den Flur und unterhielt sich mit seinem Zellennachbarn Snick.
»Werden sie dich verlegen, wenn in Sehnde der neue Knast aufmacht?«
»Weiß nicht. Warum sollten sie?« fragte Lukas.
»Alle Lebenslangen kommen in den neuen Knast. Sicherheitsstufe eins, überall Kameras und Panzertüren.«
»Und welche Sicherheitsstufe haben wir hier?«
»Drei. Von vier.«
»Klingt, als ob hier jeder rein- und rausspazieren könnte.« Lukas grinste Snick zu. Snick war der Älteste der Station. Er saß wegen Betrugs und Urkundenfälschung und sollte in einem halben Jahr entlassen werden. Deshalb hatte er inzwischen regelmäßig Ausgang. Er tat Lukas hin und wieder einen Gefallen. Ohne Verbündete kam man hier nur schwer zurecht, das hatte der Einzelgänger Lukas rasch begriffen.
»Is ja irgendwie ungerecht«, befand Snick. »Die übelsten Kerle – dich natürlich ausgenommen – kommen in den schönen neuen Knast. Einzelzellen mit separatem Klo. Und wir können nach wie vor zu viert auf sechzehn Quadratmetern hausen und hinterm Vorhang scheißen.«
Kurz nach halb sechs trat die Schließerin der Nachtschicht schlüsselklappernd durch die Gittertür.
»Einschluß, meine Herren.« C. Meyer war Ende Vierzig und mollig. Etwas Mütterliches ging von ihr aus, die Häftlinge nannten sie Nachtschwester Conny. Sie nahm es mit dem Einschluß oft nicht so
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