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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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los, flüstert er mir heiser zu, und ich sage, das kann ich nicht, wie soll ich dich befreien, und er sagt, ich weiß, daß du es kannst, der Polizist hat dir die Schlüssel gegeben, und ich schwöre ihm, nein, wieso denn, wirklich nicht. Also was machst du dann hier, murrt er, und ich erkläre ihm, daß mein Mann hier liegt, und dann frage ich teilnahmsvoll, was mit seinem Bein passiert ist, und seltsamerweise wird er nun laut, was geht dich das an, schreit er, wieso redest du überhaupt mit mir, ich werde rot, so gekränkt bin ich, ich setze mich neben Udi, mit dem Rücken zu dem Gefangenen, ich höre, wie er die Schwester ruft, diese Verrückte da belästigt mich, schmeiß sie raus. Als die Schwester zu uns kommt, mit dem gleichen freundlichen Gesicht, verteidige ich mich sofort, als wäre sie eine Lehrerin, die uns auf dem Schulhof auseinanderzerrt, ich habe ihn nur gefragt, was mit ihm ist, sage ich, und sie lächelt mir zu, regen Sie sich nicht auf, er greift jeden an, der versucht, nett zu ihm zu sein, er kennt nur eine Sprache, stimmt’s, Jirmejahu? Ich bin überrascht, wieso heißt er Jirmejahu, aber ich wage nichts zu sagen, ich wage kaum zu atmen, um seinen Zorn nicht zu erregen.
    Es stellt sich heraus, daß mein Schweigen ihn nicht weniger provoziert als mein Reden, er fragt mit demonstrativer Höflichkeit, vielleicht hast du eine Zigarette, ich antworte, hier darf man nicht rauchen, und er schreit mich an, wer will denn rauchen, ich will eine Zigarette. Ich ziehe aus der Tasche eine alte Schachtel und halte sie ihm hin, und er sagt gereizt, wer braucht schon deine stinkigen Zigaretten, solche rühre ich nicht an, und ich gehe zurück zu meinem Platz, höre ihn schreien, Schwester, Schwester, ich brauche eine Zigarette, gleich mache ich meine Handschellen auf, und dann mache ich hier alle fertig. Und die Schwester schreit ihn vom Flur aus an, gleich kommt der Polizist zurück und macht dich fertig, er grinst und wendet sich wieder an mich, was hat dein Mann? Ich sage, er hat gar nichts, und er lacht, bestimmt will er dich ein bißchen los sein, aber du klebst auch hier an ihm, laß ihm doch Luft, sonst stirbt er dir unter den Händen, auch von nichts kann man sterben, ich habe viele Leute von nichts sterben sehen.
    Ich betrachte ihn heimlich, was für ein schändlicher Streich Gottes, eine so üble Person mit so engelhafter Schönheit auszustatten, ich weiß, daß ich schweigen müßte, aber es fällt mir schwer, aufzugeben, es muß doch einen Weg geben, zu ihm durchzudringen. Schau, Jirmejahu, sage ich weich, das ist kein einfacher Tag für uns, mein Mann ist krank, er ist hier, um wieder gesund zu werden, ich bin beunruhigt, mach es mir nicht noch schwerer, er schweigt einen Moment, als erwäge er meine Worte, dann bricht er in ein häßliches Gelächter aus, ich mache es dir schwer? Ich habe hier ganz ruhig gelegen, und du bist gekommen und hast mich gestört mit deinen blöden Fragen, glaubst du, ich habe es leicht? Ich bin ans Bett gebunden wie ein Hund, wenn meine Mutter mich sehen könnte, würde sie sich im Grab umdrehen. Mir scheint, als liefe Strom durch seinen Körper, seine geschmeidigen Muskeln ziehen sich zusammen, versuchen, sich von den Fesseln zu befreien, und erst als der Polizist hereinkommt, den dicken Bauch vor sich herschiebend, hört er auf, sich zu bewegen, und liegt da wie ein gehorsamer Junge, nur ab und zu wirft er mir einen zornigen Blick zu.
    Udi ist immer noch in seinen hartnäckigen Schlaf versunken, warum verdächtige ich ihn, daß er den Schlaf nur vortäuscht und es genießt, mich erniedrigt zu sehen, und insgeheim unseren alten Streit weiterführt, die Menschen sind nichts wert, hat er immer behauptet, du vergeudest dein Leben für Abschaum, für den letzten Bodensatz, nie wirst du jemanden bekehren, nie wirst du ein Kind retten. Du glaubst, wenn du ein Kind von seinen Eltern losreißt und es in andere Erde verpflanzt, ist es gerettet? Die Natur läßt sich nicht betrügen, eure Anmaßung ist dumm und ohne Vernunft, ihr müßt euch mit der Natur arrangieren, sie so nehmen, wie sie ist. Immer wieder brach er zu seinen Reisen auf, manchmal ganz allein, schlief an irgendwelchen abgelegenen Orten im Zelt, kam mit strahlenden Augen zurück, drei Tage habe ich keinen Menschen gesehen, erzählte er stolz, als habe er es geschafft, einem gefährlichen Feind zu entkommen. Nie beklagte er sich über Sandstürme, Überschwemmungen, Insektenstiche, all das akzeptierte er

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