Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
sie jaulen uns in die Ohren wie fordernde Babys, und in kürzester Zeit werden wir allein gelassen, alle Aufmerksamkeit wendet sich dem neuen Gast zu. Mit beschämender Neugier drehe ich mich um und schaue zurück, wer ist der neue König, und da sehe ich sie, auf einer Trage, rot von Blut, schon seit Jahren habe ich sie nicht mehr gesehen, nur in meinen Alpträumen, aber es ist Ge’ula, ohne Zweifel. Ich schiebe das Bett schneller, fange an zu rennen, nur damit sie mich nicht erkennt, bis ich verstehe, daß sie halb tot ist, sie würde jetzt noch nicht mal ihr eigenes Kind erkennen, ihre Adern sind aufgeschnitten, und das Blut läuft heraus, wie sollte sie ihr Kind erkennen, wenn eine andere Mutter es an ihrer Stelle aufzieht, den kleinen Daniel mit dem spitzen Gesicht, und alles meinetwegen. Etliche Male hatte sie uns gedroht, wenn ihr ihn mir wegnehmt, bringe ich mich um, ich schneide mir alle Adern auf, alle, aber wir sahen, wie das Kind durchdrehte, es war dünn wie die Luft und mit blauen Flecken übersät. Sie war eifersüchtig auf ihren Sohn wie auf einen Geliebten, sie ließ ihn nicht in den Kindergarten gehen, damit er sich nicht in die Kindergärtnerin verliebte, sie schlug ihn, wenn er eine andere Frau anlächelte, nicht, daß ich ihn je lächeln gesehen hätte, sie stellte ihn auf einen Stuhl und küßte ihn, schob ihre schwarze Nikotinzunge in seine Mundhöhle. Wir mußten ihn retten, wir sagten zu ihr, schicken Sie ihn in den Kindergarten, kochen Sie für ihn, schaffen Sie ihm ein gesundes Umfeld, und sie tobte, ihr habt mir nicht zu sagen, wie ich meinen Sohn erziehen soll, sie drückte ihn an sich wie ein Pfand und schrie mich an, wenn ich dein Gesicht noch einmal sehe, bringe ich das Kind um und dann mich selbst. Am Ende haben wir einen Gerichtsbeschluß erwirkt, wir haben ihn von ihrem Körper gerissen wie bei einer gefährlichen Geburt, sie schrie mir nach, du glaubst wohl, du kannst in Ruhe deine Tochter aufziehen, während ich ohne Daniel zurückbleibe, du wirst keine Minute Glück erleben. Ich quälte mich lange und beschloß dann, diese Arbeit aufzugeben, bei der jede Entscheidung sowohl richtig als auch falsch war, jedenfalls immer grausam, deshalb wechselte ich zum Heim für schwangere Mädchen, später hörte ich noch, daß Ge’ula Einspruch erhoben hatte, aber kein Gericht gab ihr ihren Daniel zurück, dann versuchte sie, sich umzubringen, doch auch das gelang ihr nicht, und jetzt ist sie hier, nach einem weiteren Versuch, sie verfolgt mich, die vergessenen Flüche werden wieder lebendig.
Du weinst ja schon wieder, sagt Udi und öffnet ein feindseliges Auge, ich kann mich nicht beherrschen, erinnerst du dich an Ge’ula, der wir den Sohn weggenommen und zur Adoption gegeben haben, man hat sie gerade hergebracht, vermutlich nach einem Selbstmordversuch, und alles wegen mir, und er macht das zweite Auge auf, ich habe ja immer gesagt, daß ihr bei eurem Sozialdienst übertreibt, wer seid ihr, Gott, Herr der Welt? Kämpfer gegen die Natur? Wie kann man ein Kind von seiner Mutter wegnehmen? Ich stelle wütend das Bett am Rand des Flurs ab, wir sind schon weit genug entfernt, seine Reaktion bringt mich auf, aber jedenfalls ist sie normal, vertraut, nicht wie sein neues unterwürfiges Lächeln. Was redest du für einen Quatsch, du und deine Natur, die Natur kann furchtbar sein, die Natur ist ein Unglück, diese Mutter hat ihren Sohn kaputtgemacht, sie hat ihn gequält, du hättest seinen Körper sehen sollen, voller blauer Flecken und keinen Zahn im Mund.
Aber sie hat ihn geliebt, verkündet er herausfordernd, er stellt sich immer auf die Seite des Angegriffenen, und ich sage, na und, kranke Liebe ist nichts wert, sie hat ihn mit ihrer Liebe zerstört, und er sagt böse, das hast du mal zu mir gesagt, daß meine Liebe krank ist, weißt du noch? Kein Thema interessiert ihn, wenn er nicht direkt davon betroffen ist. Ich versuche, einen Hauch Sympathie zu wecken, Udi, was bedeutet es, daß sie hier ist, das macht mir angst, es ist ein böses Omen, und er stößt mich weg, ist nicht bereit, mich auch nur einen Moment zu stützen, und was bedeutet es, daß ich hier bin, darüber denke ich nach, das beschäftigt mich, dich aber nicht, du hast dich immer für deine armen Typen eingesetzt, sie waren dir immer wichtiger als ich. Wie kannst du das sagen, protestiere ich, das stimmt überhaupt nicht, und schon treffen uns erstaunte Blicke, wie kann man sich im Schatten einer tropfenden Infusion
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