Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
getroffen hätte und nicht vor zehn Jahren, begeistert von dem Interesse, das er für mich zeigte, und halb blind, mit dieser Art Blindheit, die man braucht, um sich zu verlieben, wäre ich noch immer fähig, so blind zu sein, denn ohne diese Blindheit hätte es keine Möglichkeit gegeben, sich in diesen vierschrötigen, stolzen, launischen Mann zu verlieben, wird er alle Männer, die ich in Zukunft in den verschiedenen Cafés der Stadt treffen werde, ausstechen oder gegen sie abfallen, wird er besser oder schlechter sein als der Pilot, der gerade auf dem Weg zu mir ist und auf die Uhr schaut, und ich erkenne ihn an dem Zeichen, das er mir angegeben hat, ich trage immer kurze Hosen, hat er geprahlt, deshalb ist, zu dieser Jahreszeit, ein Irrtum ausgeschlossen, bestimmt ist er der einzige Mensch in der Stadt, der mit einem blauen Pilotenjackett und kurzen Hosen herumläuft, und ich beschließe, diese Absonderlichkeiten zu ignorieren, nicht mit gespieltem Erstaunen zu fragen, ist dir nicht kalt, sondern so zu tun, als würden ich und all meine Bekannten im Jerusalemer Winter so herumlaufen.
    Der Anblick seiner muskulösen nackten Beine weckt Unbehagen in mir, als wäre ich gezwungen, eine körperliche Demonstration anzuschauen, die ich nicht anschauen will, ich betrachte sie zweifelnd, vermutlich gehört er zu jenen Auserwählten, die sich überall auf der Welt zu Hause fühlen, und mir ist sofort klar, dass er in jeder Wohnung den Kühlschrank aufmacht, ohne um Erlaubnis zu fragen, dass er ein Buch aus dem Regal nimmt und hineinschaut, und auch bei Frauen ist er bestimmt geradeheraus und direkt. Hi, Ella, ich sterbe vor Hunger, verkündet er und zieht seinen Mantel aus, als wäre ich seine Mutter und wäre voller nie endender Sorge um seine Ernährung, und erst da hebe ich den Blick zu seinem Gesicht, um zu sehen, ob er Amnon aussticht oder gegen ihn abfällt, und ich muss zugeben, dass Amnon jünger aussieht als er, besser, und dass sein Gesicht schöner ist als dieses, das hohlwangig ist, scharf, angespannt, wachsam und in dem die Bewegungen der Augen, Lippen und Nasenflügel nicht zusammenpassen, wie bei einem Orchester ohne Dirigent.
    Bist du schon lange hier, will er wissen, aber bevor ich noch verkünden kann, ich sei gerade erst gekommen, fällt schon die nächste Frage, riechst du etwas? Nichts Besonderes, antworte ich, warum? Sofort befürchte ich, mich nicht gut genug gewaschen zu haben, und er sagt, hier ist ein seltsamer Geruch, vielleicht nehmen wir einen anderen Tisch, und ich stehe widerwillig auf, meine Auswahl dieses Cafés steht schon auf dem Prüfstand, ich gehe, den Mantel und die Tasche in der Hand, hinter ihm her zu einem einsamen Ecktisch, die Tür fordert mich schon auf, durch sie hinauszulaufen in die Freiheit, aber ich setze mich gehorsam, beobachte das Beben seiner Nasenflügel. Hier ist es ein bisschen besser, entscheidet er, noch immer nicht ganz zufrieden, und erst dann wendet er sich mir zu und betrachtet mich prüfend, und ich senke die Augen auf die Speisekarte, wer weiß, wem ich gerade gegenübersitze und wer die Frau ist, mit der ich gegen meinen Willen konkurrieren muss, meine Lippen gegen ihre Lippen, meine Augen gegen ihre Augen, meine Brüste gegen ihre Brüste, und ich bestelle mir nur ein Glas Rotwein, obwohl ich Hunger habe, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich beim Anblick dieser unruhigen Nasenflügel und dieser prüfenden Augen etwas herunterbekomme. Es ist besser, dieses Treffen abzukürzen und zu Hause zu essen, beschließe ich, aber es stellt sich heraus, dass er andere Pläne hat, er scheint gewillt, jedes Gericht auf der Karte zu bestellen, entweder um einen übermäßigen Hunger zu stillen oder um das Zusammensein zu verlängern, sein Wille besiegt meinen, und mir wird klar, dass ich nicht nur hungrig bleiben werde, sondern ihm auch stundenlang beim Essen zuschauen muss, Suppe, Salat und blutiges Steak, roh, schreit er der Kellnerin nach, roh, ich liebe es roh, und er entblößt dabei seine scharfen Eckzähne, als wollte er selbst das blutige Fleischstück aus dem Körper des Tieres reißen.
    Nachdem er die Speisekarte nach allem, was seine Gier noch erregen könnte, durchgegangen ist, richtet er seine kleinen Pupillen auf mich und bemüht sich endlich um ein freundschaftliches Lächeln, nun, was kannst du mir denn erzählen, fragt er, ohne eine Antwort abzuwarten, ich habe gedacht, du siehst anders aus, ich habe schon einige Archäologinnen getroffen, alle waren

Weitere Kostenlose Bücher