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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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eine Wahl, sag doch, was für eine Wahl haben wir, hast du etwa einen anderen Ort, an den du gehen kannst? Seine Frau schaut ihn deprimiert an, vermutlich nicht, vermutlich gibt es keinen Ort, wohin wir gehen können, und ich habe Lust zu sagen, auch wenn du keinen Ort hast, wohin du gehen kannst, könntest du doch in diesem Moment fortgehen, die Frage ist nicht, wohin du gehen kannst, sondern ob du bleiben kannst. Das Klingeln des Telefons unterbricht das Gespräch, er steckt am Shaar Hagai fest, der Arme, sagt Dina, noch immer mit dem Hörer in der Hand, ihr Blick geht zu mir, als handelte es sich um meinen Bräutigam, die Straße nach Jerusalem ist völlig verstopft, und ich zucke mit den Schultern, es ist besser so, ich werde früh gehen können, vermutlich habe ich mich, ohne es zu merken, an die Einsamkeit gewöhnt, und ihre banalen Gespräche bedrücken mich, ich versuche, sie zu ignorieren und nur auf das leise Fallen der Schneeflocken zu lauschen, und als Dina heißen Pfefferminztee einschenkt, verabschiede ich mich, auch wenn es keinen anderen Ort gibt, kann man immerhin aufstehen und davongehen.
    Kann ich ihm deine Telefonnummer geben, fragt Dina, als sie mich zur Tür bringt, dieses Schneetreiben wird ja irgendwann aufhören, und ich sage, in Ordnung, wenn es dir so wichtig ist, Hauptsache, du lässt mich jetzt gehen, sag mal, wie bist du denn an dieses Paar gekommen? Sie lächelt, zusammen sind sie wirklich unerträglich, aber einzeln ganz in Ordnung, manchmal braucht man ein verheiratetes Paar, nur um sich zu beweisen, wie gut man es hat, fügt sie flüsternd hinzu, und ich muss ihr einen süßen Moment lang Recht geben, dann springe ich leichtfüßig hinaus und laufe in die Stadt hinein, die mich mit kühler Gleichgültigkeit empfängt, als wollte sie sagen, du hast mich zwar nicht beschützt, aber deinen Schutz brauche ich ohnehin nicht. Als ich die vereinzelten Kirchtürme betrachte, die Umrisse der Berge, deren Konturen sich durch die neue Bebauung verwischen, fällt mir ein, wie fremd ich mich damals in dieser Stadt gefühlt habe, vielleicht trage ich es ihr immer noch nach, ich brenne darauf, an Ausgrabungen teilzunehmen, die ihre Schande beweisen, und achte darauf, sie wie einen Forschungsgegenstand zu betrachten, wie eine wirre Ansammlung einzelner Fundstücke, ohne wirkliche Liebe.
    Einzelne Autos bahnen sich einen Weg durch die Straßen, die sich bis zur Unkenntlichkeit verändert haben, ich bin fast allein, überquere einen Spielplatz, dessen Geräte mit einer weißen schwammigen Schicht überzogen sind, auf einmal erkenne ich ihn, das ist der Spielplatz gegenüber ihrer Wohnung, ich hebe den Blick zu dem schönen Haus, der Balkon im obersten Stock ist jetzt leer, kein Kind wirft Wasserbeutel herunter. Wie oft habe ich Gili schon in verführerischem Ton gefragt, was ist mit Jotam, willst du dich nicht mal mit ihm verabreden, aber er brummte, nein, er ist nicht mehr mein Freund, und flüsterte dann, als handle es sich um ein Geheimnis, unsere Clique ist gegen ihre Clique, wir machen sie fertig, und wieder fällt mir jener Morgen ein, der Anblick des verlegenen Mannes in den roten gepunkteten Unterhosen, wie er mich verärgert angeschaut hat, ein Mann, der immer sanfter wurde und sich immer mehr mit meiner Anwesenheit abfand, er ist in meiner Erinnerung viel lebendiger als die gut gekleidete, selbstbewusste Person, die sich mir in der Praxis dargeboten hat, und ich stehe vor seinem Haus, bestimmt ist es jetzt warm und gemütlich bei ihnen, durch die Fenster sieht man die weißen Wipfel, in der Keramikschale haben die Birnen schon Orangen Platz gemacht, ob er auf dem hohen Barhocker sitzt und Kekse in Kaffee taucht, vielleicht sitzt er mit einer Decke auf den Knien im Schaukelstuhl und blättert in einer Zeitung oder in einem Buch, vielleicht ist er auch allein losgezogen, um im Schnee spazieren zu gehen, vielleicht treffe ich ihn zufällig, wenn er nach Hause zurückgeht, und dann wird er mich wieder anschauen und fragen, wir kennen uns doch? Und ich werde antworten, nicht wirklich, aber ich werde still neben ihm hergehen, und wir beide werden mit dem inneren Auge andere Städte sehen, andere Leben, ist er das dort, am Ende der Straße, eine Mütze verdeckt sein Gesicht, nein, ich bilde es mir nur ein, und obwohl meine Füße schon halb erfroren sind, stehe ich noch immer vor seinem Haus, spitze die Ohren und lausche, ob auch jetzt dort ein ersticktes Weinen zu hören ist, der schmerzliche

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