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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Frühlingsdüften hinter sich herzuziehen, die frische Berührung wirft einen Schlummer über mich, und es ist, als schliefe ich unter freiem Himmel, ich bin wieder von zu Hause geflohen, nach einem Streit mit meinem Vater, und bin so lange gerannt, bis ich das offene Feld erreicht habe, dort lasse ich mich zu Boden fallen, wälze mich zwischen Löwenzahn und Chrysanthemen, dem einfachen Goldschmuck des Winters, und langsam, langsam entfernt sich das Echo des Streits, lösen sich die Verwünschungen auf, und zurück bleibt nur das Gefühl vollkommener Leere, vollkommener Freiheit, niemand wird mich hier finden, und ich atme tief ein und weite meine Lungen, zu Hause erstickt mich seine Anwesenheit, so dass ich nur flach und hastig atmen kann wie ein Hase, doch hier und jetzt, auf dem offenen Feld, werde ich gesund. Die Grashalme haben kleine Glocken um den Hals, die sorglos im Wind bimmeln, und ich beschließe, nie wieder dorthin zurückzukehren, ich werde für immer von zu Hause weglaufen, ich werde in den Straßen um milde Gaben betteln, und ich sehe vor mir, wie meine Eltern eines Abends an mir vorübergehen, schön gekleidet, auf dem Heimweg vom Theater, und mein Vater wird mir beiläufig ein Geldstück hinwerfen, aber ich werde seine Gabe nicht anrühren, und eines Tages wird ein großartiger Mann neben mir stehen bleiben und mich bei sich aufnehmen, er wird mir das schmutzige Gesicht waschen und sehen, dass ich eine Tochter aus gutem Hause bin, die Tochter des Königs, die aus dem Schloss geflohen ist, und er wird mir zu essen geben und mich zum Schlafen in sein Bett legen und über meine Haare streichen, neben mir wird er auf dem Bettrand sitzen. Und als ich die Augen aufmache, sagt er leicht erstaunt, ich bin froh, dass ich dich hier finde, und ich schüttle mich, frage, bist du schon zurück, wie spät ist es, ich glaube, ich habe ein bisschen geschlafen.
    Du hast lange geschlafen, sagt er, ich bin schon eine ganze Weile hier, und es fällt mir schwer aufzuwachen, ich habe geträumt, ich bin von zu Hause weggelaufen, murmle ich, und er fragt, von dieser Wohnung? Nein, sage ich, von der Wohnung meiner Eltern, und er sagt, der Wohnung seiner Eltern kann man nie entfliehen. Vermutlich nicht, sage ich, aber man hört nicht auf, es zu versuchen, und er lacht, zumindest bist du nicht mit leeren Händen weggelaufen, er deutet mit einer Handbewegung zum offenen Schrank, und ich erzähle, dass ich eine Bettlerin war, dass ich auf dem Gehweg saß und meine Eltern an mir vorbeigingen, aber ich war so schmutzig, dass sie mich nicht erkannten, und erst dann bemerke ich, dass er mir nicht zuhört, sein Blick ruht noch immer auf dem vollen Schrank, er sieht beunruhigt aus, und ich frage, ist etwas, Oded, und er antwortet nur, nein, nichts Besonderes.
    Freust du dich nicht, dass ich hier bin, frage ich kokett, und er sagt, ich habe dir doch gerade gesagt, dass ich mich freue, aber sein Blick bleibt besorgt, du legst deine Sachen nicht richtig zusammen, bemerkt er, und ich frage verwundert, was stimmt denn nicht daran? Du hast sie gerollt, nicht zusammengelegt, hat dir deine Mutter das nicht beigebracht? Du musst vielleicht wirklich nach Hause, damit du vernünftig erzogen wirst. Das stört dich wirklich, sage ich enttäuscht, und er bekennt, ja, es irritiert mich, und schon fühle ich mich gegen meinen Willen tief gekränkt, das ist es also, was du mir an dem Tag, an dem ich zu dir ziehe, zu sagen hast, murmle ich, du willst mich gar nicht hier haben, aber es scheint nicht meine Stimme zu sein, es ist die Stimme der Bettlerin aus meinem Traum.
    Was ist mit dir los, schimpft er, was habe ich denn Schlimmes gesagt, was soll diese krankhafte Empfindlichkeit? Und ich versuche, zu mir zu kommen, es stimmt, was hat er schon Schlimmes gesagt, auch Amnon hat sich manchmal über meine Unordnung beklagt, und es hat mich nie gekränkt. Ich betrachte ihn, die schwarze Kleidung, die seine Magerkeit betont, die schweren Brauen, die verschatteten Wangen, eine Halluzination in Schwarz-weiß, und das alles steht mir auf eine seltsame und aufregende Weise zur Verfügung, ein neuer Mann, sein Anblick ist mir noch fremd, ebenso wie mein eigener Anblick in diesem Haus, das viel heller ist als meines, ich steige langsam aus dem Bett und gehe zur Küche, stütze mich aus irgendwelchen Gründen an den Wänden ab, die Kisten verstellen mir den Weg.
    Zu meiner Freude folgt er mir, und ich drehe mich zu ihm um, wie war’s heute bei dir, frage ich,

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