Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
des Höchsten, des Königs aller Könige, des Heiligen, gelobt sei Er. Euer Kommen sei zum Frieden, Engel des Friedens, Engel des Höchsten, des Königs aller Könige, des Heiligen, gelobt sei Er … Seine Stimme, die immer wieder bricht, zieht die schwache Stimme seines Sohnes hinter sich her, während die Trauergäste zögern, ob sie einstimmen sollen oder ob dieses Lied nur für die engsten Angehörigen bestimmt ist, es ist das Lied, das die Vorstellung eines sorgfältig gedeckten Tisches weckt, frisch gewaschene und gekämmte Kinder, ein Kuchen im Ofen, eine schön gekleidete Frau, die Königin Schabbat, kommt, wir suchen die Königin Schabbat, die wunderschöne Braut, die jede Woche aufs Neue mit ihrem Bräutigam verheiratet wird, hat die Lehrerin damals gerufen, und die Kinder sprangen auf und rannten los, war es an jenem Tag, als sie sagte, wir machen heute Abend ein Fest, jeder, der kommen will, ist eingeladen, es wird viel Wein geben und gute Musik, es lohnt sich, und ihr Mann stand neben ihr, den Arm um ihre Schulter gelegt, und erklärte allen Interessierten den Weg, und schon bildete sich eine fröhliche Versammlung um sie, ja, natürlich werden wir kommen, warum nicht, was hast du gesagt, wo man abbiegen muss, in die erste Straße nach dem Platz?
Es scheint, als reichte seine Kraft nur bis zum Ende der zweiten Strophe, von weitem sehe ich, wie er sich in die Arme einer älteren Frau fallen lässt, seiner Mutter, wie es aussieht, und in diesem Moment stimmt die Trauergemeinde ein, mit heiseren Stimmen singen sie, Euer Kommen sei zum Frieden, Engel des Friedens, und der Kleine, der inzwischen auf anderen Schultern schaukelt, winkt mit der Sonnenblume, die für ihn aus einem der Sträuße gezogen worden ist, Papa, sehe ich Mama nie mehr, fragt er plötzlich, mit einer Stimme, in der mehr Staunen als Trauer liegt, und wieder ruft seine Frage eine Welle aus Tränen hervor, und zwischen all den Klagen meine ich ein bekanntes Geräusch zu hören, das mich schon seit langem begleitet, lang anhaltend wie die Sirene am Tag der Erinnerung, und als ich mich umschaue, erkenne ich die hellen mangofarbenen Locken, die im Wind wehen, ein verzerrtes Gesicht, halb verborgen hinter ihren Händen. Seit Monaten habe ich sie nicht mehr gesehen, ich bin ihr ausgewichen, und jetzt ist sie hier und weint hemmungslos, als hätte sie den ihr liebsten Menschen verloren, und es ist, als würde das unterdrückte Weinen, das damals aus dem Schlafzimmer drang, jetzt befreit hervorbrechen, und auf einmal antworte ich ihr mit meinen Tränen, unser Weinen bildet einen zweistimmigen Chor, der eine Geschichte erzählt, für die es keine Beweise und kein Ende gibt.
Zwanzig Jahre sind vergangen, seit ich am Grab Gil’ads stand, meine Mutter versuchte, mich zu stützen, aber ich wich zurück, versteckte mich zwischen den Grabsteinen, sah seinen glatten Körper vor mir, der in der Nacht geleuchtet hatte wie eine Kerze, du hast mich vergeblich gewarnt, Mama, wie konntest du dir nur einbilden, ich hätte von seiner Krankheit nichts gewusst, und trotzdem wollte ich ihn, vielleicht sogar deshalb, vielleicht war ich von der Vergänglichkeit stärker angezogen als von der Zukunft, war es vielleicht die Angst, nicht frei wählen zu können, die mich dazu brachte, zu früh die Hoffnung aufzugeben? Hinter den Grabsteinen versteckte ich mich, während sein junger Körper mit Erde bedeckt wurde, und als alle gegangen waren, nahm ich einen kleinen Stock und grub in der Erde, wenn ich nur tief genug grübe, würde ich ein Haus finden, das mein Haus wäre, die Knochen eines jungen Mannes würde ich finden, und er würde mein Geliebter sein.
Als sich die Menschen langsam zerstreuen, mit vor Trauer verzerrten Gesichtern und geröteten Augen, mit schleppenden Schritten, die, trotz allem, eine plötzliche Lust auf das Leben offenbaren, legt sich plötzlich der Wind, als hätten alle in diesem Augenblick aufgehört zu trauern, ich hänge mich bei Oded ein, darauf aus, von der Menge verschluckt zu werden, aber er bleibt einen Moment stehen, als wollte er warten, und auf einmal scheint es, als sei meine Angst vor einem Zusammentreffen verschwunden, als gebe es sogar ein sonderbares Bedürfnis, gemeinsam Schiwa zu sitzen, gemeinsam zu trauern um alles, was wir verloren haben, und während sich die Trauergemeinde langsam zurückzieht, wie sich eine riesige Welle vom Land zurückzieht und Strandgut freigibt, scheinen auch wir vier ungeschützt dazustehen, und ich
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