Liebesnächte in der Taiga
Schwester, die auf sie aufpaßte, und ein Arzt, der ihr half … und ein zweites Bett im Zimmer für Semjonow, denn nicht einen Tag wollte sie getrennt sein von ihm und von seinen tröstenden Händen und strahlenden Augen.
»Ist es sicher?« fragte Semjonow und sah Ludmilla an. Sie lächelte und nickte.
»Sicher, Pawluscha.«
Da klopfte er gegen die Wand zum Nachbarhaus; ein Klopfen antwortete ihm, und er wußte, daß jetzt gleich der Junge loslief und in einer halben Stunde spätestens der Krankenwagen unten auf der Gasse hielt.
»Kommst du mit, Pawluscha …?« Ludmilla hob die Hand, er setzte sich neben sie auf das Bett, beugte sich vor und legte sein Gesicht auf ihre Schulter.
»Natürlich, Ludmilluschka.«
»In das Krankenhaus?«
»Ja.«
»In den Kreißsaal?«
»Das werden die Ärzte nicht erlauben.«
»Sie müssen! Ich will es, Pawluscha! Ich will es! Laß mich nicht allein, wenn das Kind kommt! Sei bei mir wie damals in der Hütte an der Muna.« Sie legte beide Arme um seinen Hals, drückte ihn an sich und hielt ihn fest. »Weißt du noch, wie es war, Pawluscha? Wie du das Seil um das Bett geknotet hast, und ich zog daran und stemmte die Beine ab …«
»Es war furchtbar, Ludmilluschka«, sagte Semjonow tief atmend. »Die schrecklichste Nacht war es. Wie ein Wolf habe ich geheult. So hilflos war ich …«
»Aber du warst bei mir! So schön war das! Mit deinen Händen hast du Nadeschda aufgefangen … O Pawluscha, wie haben wir gelebt …«
Auf der Gasse hörte er Motorenlärm, das Knirschen von Gummireifen und ein kreischendes Bremsen.
»Der Krankenwagen.« Semjonow löste sich von Ludmillas Armen. Er half ihr aus dem Bett, zog ihr einen gestickten persischen Morgenmantel über den unförmigen Körper und das lange seidene Nachthemd. Sie band ein Tuch um die schwarzen Haare, und sie sah fröhlich und glücklich aus und so jung und trotz ihres hohen Leibes so zerbrechlich.
»Ich werde ihnen sagen, daß ich das Kind nicht aus mir lasse, wenn du nicht dabei bist, Pawluscha!« sagte sie trotzig. »Allen Ärzten sage ich es, gleich wenn wir ankommen!«
Semjonow lachte, und es war das sichere starke Lachen, das Ludmilla so liebte und das ihr immer Kraft gegeben hatte.
»Noch immer das wilde Tierchen!« sagte er und faßte sie unter. »Hier ist keine Taiga, du Wölfin!«
»Wo ich bin, ist immer Taiga!« Ludmilla lehnte sich an Semjonows Schulter. »Ist es ein gutes Krankenhaus, Pawluscha?«
»Ein deutsches …«
»Du bringst mich in ein deutsches Krankenhaus?«
Semjonow knöpfte ihr den Morgenmantel zu; er war weit genug, doch jetzt saß er stramm um den Leib. »Deutsche Ärzte sind's. Man hat sie nach Persien geschickt zum Aufbau eines neuen Gesundheitswesens. Ich habe schon mit ihnen gesprochen, sogar einen Teppich haben zwei von ihnen bei mir gekauft. Sie freuen sich auf dich.«
Die Treppe herauf kamen Schritte, und Stimmen flogen ihnen entgegen. Die Sanitäter und die Nachbarin, die bei Nadja blieb, bis Semjonow aus dem Krankenhaus zurückkam.
»Komm«, sagte Semjonow. »Wenn die Sonne scheint, will ich meinen Sohn herumtragen …«
»Du bleibst bei mir …« Ludmilla umklammerte ihn. Und plötzlich war die Angst wieder in ihren Augen und die wilde Entschlossenheit wie damals in der Hütte an der Muna. »Geh nicht fort von mir … laß mich nicht allein …«
Und Semjonow nickte, küßte ihre bleichen, kalten Lippen und führte sie hinaus zum Wagen.
Das Kind wurde morgens um sieben Uhr geboren. Es war ein Sohn.
Alexeij Pawlowitsch Semjonow … so schrieb eine Schwester mit Tinte auf den Leukoplaststreifen, den man dem schreienden Menschlein um das linke Handgelenk klebte, damit es nicht verwechselt würde.
Ludmilla merkte nichts von ihren Schmerzen. Als die gefürchteten letzten Wehen ihren Körper fast zerrissen, gab ein junger, freundlicher Arzt ihr eine Lachgasnarkose, und sie dämmerte dahin, merkte nicht, daß Semjonow nicht im Zimmer war, denn das hier war ein gutes, steriles Krankenhaus und keine Goldgräberhütte an der Muna; und das Kind kam, war gesund und kräftig, und der kleine Brustkorb wölbte sich bei seinem ersten Schrei, daß der Arzt anerkennend sagte: »Das kann einmal ein Sänger werden …«
Semjonow wartete unterdessen, wie alle Väter, und es waren in dieser Nacht vierzehn unruhige Männer, in einem großen Raum unten im Parterre, weit weg von der Entbindungsstation, denn, Freunde, so ist es doch: Gibt es in dieser Stunde etwas Unwichtigeres als den Vater?
Er
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