Liebesschmarrn und Erdbeerblues - Wie alles begann
arbeiteten für dieselbe Zeitung. Sie in der Lokalredaktion und ich in der Anzeigenannahme. Kennengelernt hatten wir uns auf den Tag genau am 13. Mai vor vier Jahren, als wir beide in der kleinen Kaffeeküche der Redaktion standen und jede einen Kuchen für die Kollegen anschnitt. Amüsiert stellten wir fest, dass wir Geburtstag hatten. Den fünfzigsten. Wenn wir ihre vierundzwanzig und meine sechsundzwanzig Lenze zusammenzählten. Da wir beide für den Abend nichts geplant hatten, verabredeten wir uns spontan ins Simone, eine kleine, aber feine Bar in den engen Gässchen der Passauer Altstadt, auf ein Glas Prosecco. Aus einem Gläschen wurden zwei Flaschen – für jede –, und wir hatten viel Spaß. Claudia ließ mich in diesem Zustand nicht mehr nach Hause fahren, und so verbrachte ich die Nacht auf dem grauen Ledersofa in ihrer Wohnung.
Auf genau diesem Sofa saß Claudia jetzt und schaute mir geduldig zu, wie ich, unruhig wie ein Raubtier vor der Fütterung, barfuß auf und ab tigerte. Sie kannte mich gut genug, um abzuwarten, und nippte an einer Tasse Ingwerwasser. Die kleinen Figuren, die Claudia von ihren Reisen in aller Herren Länder mit nach Hause brachte und die nahezu jeden freien Zentimeter ihrer Wohnung belagerten, schienen mich zu beobachten. Als ob die stummen kleinen Zeugen unserer Frauengeschichten es nicht erwarten konnten, den neuesten Klatsch über mein Liebesleben zu hören. Eines der Eskimofigürchen auf dem Bücherregal schaute mich so ungeduldig an, dass ich mein Schweigen endlich brach.
»Es ist was ziemlich schiefgelaufen!«
»Wie hast du es diesmal vermasselt?« Claudia war nicht überrascht. Warum auch? Es war ja nichts Neues. Ich war praktisch eine Meisterin darin, etwas zu vermasseln. Dabei war es meistens gar nicht meine Schuld, wie ich fand. Und diesmal schon gar nicht. Aber ob sie das verstand? Ich wand mich innerlich.
»Lene! Mach’s nicht so spannend!«
»Also. Er hat gesagt …« Ich konnte nicht.
»Was? Dass deine Oberschenkel zu dick sind?«
»Nein!«, rief ich empört. Ich ging ja wohl nicht umsonst regelmäßig ins Fitnessstudio, seit ich mit Michi zusammen war, und hatte mir inzwischen fast fünf Kilos abgestrampelt. Meine Schenkel waren zwar nicht perfekt, aber zumindest alltagstauglich. Allerdings wirkten neben Claudias Gazellen-Beinen auch Normaloschenkel wie meine wie die eines grauen Dickhäuters.
»Hat er dich … auch … betrogen?« Claudias Ton wurde ein wenig weicher, mitfühlender. Sie hatte ja schon einiges mit mir erlebt.
»Nein! Hat er nicht.« Zumindest wusste ich nichts davon.
»Ja was denn dann?« Jetzt wurde sie schon etwas ungeduldiger, und der Blick des Eskimos war frostig geworden.
»Er hat gesagt …«
Ich holte tief Luft und sprach die Worte genau im Wortlaut und bairischen Dialekt meines Freundes Michi aus: »I hab mi sakrisch in di valiabt!«
Ich merkte genau, wie Claudias Mundwinkel zuckten. Sie verkniff sich ein Lachen.
»Das ist doch super!«
»Aber man sagt doch nicht: I hab mi sakrisch in di valiabt!«, protestierte ich.
Claudia schaute mich amüsiert an.
»Nun ja. Wir sind hier in Passau. Und Passau ist in Bayern. Und in Bayern spricht man eben bairisch!«
Das musste ausgerechnet sie sagen. Claudia war gebürtige Italienerin und als Teenager mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen. Sie sprach inzwischen ein perfektes Hochdeutsch mit einem entzückenden sizilianischen Akzent.
»Wie soll er es denn sonst sagen?«, hakte sie nach.
»Ach, ich weiß auch nicht. Anders halt!«
Der Blick des Eskimos war inzwischen eisig. Mit so was hatte er sicher nicht gerechnet.
»Du erzählst mir jetzt, was los ist. Was wirklich los ist. Sofort!«
Ich drehte den verschnupften Eskimo mit dem Gesicht zum Buchrücken des ersten Harry-Potter-Bandes und ließ mich in den Sessel plumpsen. Und ich legte los. Mein Freund Michi und ich waren für den Abend zur Vernissage seines Mandanten Severin Bayerl eingeladen. »Kreationen in Kreditkarten«, so das etwas dümmliche Thema. Ich hatte auf die Ausstellung so viel Lust wie auf einen Besuch beim Steuerberater. Aber Michi zuliebe hatte ich zugesagt und mich dafür so richtig chic gemacht. So wie Michi das gefiel. »Zieh dich doch ein wenig femininer an«, hatte er mich in der letzten Zeit immer öfter gebeten. In Männersprache übersetzt heißt das so viel wie: »Röcke kürzer, Absätze höher und Ausschnitt tiefer.« Vor allem das mit dem Dekolleté war ihm wichtig. Sehr wichtig sogar, weil das
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