Liebling verzweifelt gesucht
begann, den Papagei mit sanfter lockender Stimme zu rufen: »Komm, Rico, komm … na komm her zu mir … braver Rico, du brauchst keine Angst zu haben, ich bin ja jetzt hier bei dir … na komm, braver Rico.« Der Papagei neigte zwar sein Köpfchen und schaute neugierig zu Frau W. hinunter, aber er rührte sich nicht von der Stelle. Alles Rufen und Locken nutzte nichts. Die Vogelmama rief mich erneut an und fragte mich, was sie noch tun könne. Ich riet ihr, die Feuerwehr zu rufen. Rico saß weit oben auf dem Baum und mit der ausfahrbaren Drehleiter konnten die Feuerwehrleute versuchen, ihn einzufangen. Wenn sich etwas Neues ergab, sollte Frau W. mich wieder anrufen. Eine ganze Weile hörte ich nichts mehr von ihr. Schließlich meldete sie sich wieder.
Dieses Mal klang ihre Stimme fast hysterisch, so verzweifelt war sie. Ich musste sie erst mal beruhigen. Sie musste sich erst wieder sammeln, bis sie mir erzählen konnte, was geschehen war: »Die Feuerwehr ist schnell vor Ort gewesen, aber sie konnten die Leiter nicht an den Baum heranfahren, weil sich davor eine Garage befindet. Man kann leider auch nicht von der anderen Seite an den Baum herankommen. Dann machten die Feuerwehrleute einen fatalen Fehler. Sie versuchten, Rico mit einem Wasserschlauch vom Baum herunterzuspritzen. Stellen Sie sich das einmal vor! Ich habe protestiert, aber sie meinten, es gäbe keine andere Möglichkeit. Als der Wasserstrahl auf ihn gerichtet wurde, hat Rico natürlich sofort Reißaus genommen und ist noch höher hinaufgeflogen. Mit dieser unsinnigen Aktion haben sie ihn völlig verschreckt. Nach diesem Manöver waren sie mit ihrem Latein am Ende und sind wieder abgezogen, ohne sich noch weiter um Rico oder mich zu kümmern.«
Ich war verärgert über diese Vorgehensweise der Feuerwehr. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, was sie sich dabei gedacht hatten. Es war absolut vorhersehbar, dass Rico vor dem Wasser flüchten würde. Aber nun war es schon geschehen und ich musste versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Ich wollte dem Vogel und seiner Halterin unbedingt helfen. In einer solchen Situation bringt es überhaupt nichts, sich aufzuregen. Ich sagte Frau W. noch einmal, sie solle Ruhe bewahren, ich würde mich um eine andere Lösung kümmern und mich wieder bei ihr melden, sobald ich etwas erreicht hätte.
Mir fiel ein Papageienexperte aus dem MünchnerStadtteil Thalkirchen ein, der einen Graupapagei namens Laura hat. Laura ist trotz »ihres« Namens ein Männchen. Er ist ein ganz besonderes Tier. Gerne begleitet er seinen Vogelpapa auf dessen Schulter sitzend – zum Beispiel morgens beim Gang zum Bäcker. Meistens darf er nach dem Frühstück noch alleine eine Runde durch den Stadtteil drehen, denn diesen Papagei kann man nicht einsperren. Sobald er länger in einem Käfig sitzen muss, hört er nicht mehr auf zu krächzen und zu pfeifen. Also darf er frei herumfliegen. Seit vielen Jahren ist der zutrauliche Vogel in ganz Thalkirchen bekannt. Regelmäßig taucht er auf seinen Rundflügen vor den Fenstern anderer Anwohner auf und gibt lustige Sprüche von sich wie etwa »Hallo, ich bin Laura«.
Gelegentlich kommt Laura nicht von seinen Ausflügen zurück, sodass man ihn suchen muss. Jedes Mal, wenn das passiert, setzt sein Besitzer, der auch noch Vogelrieder heißt, alle Hebel in Bewegung, um ihn wiederzufinden. Er wendet sich unter anderem an die Presse, die in der Regel bereitwillig über Lauras erneutes Verschwinden berichtet und einen Suchaufruf veröffentlicht. Meistens hat jemand den Vogel in der Annahme aufgenommen, er sei herrenlos. Natürlich ist es nicht ungefährlich, Laura frei herumfliegen zu lassen, aber seit über zwei Jahrzehnten ist letztlich immer alles gut gegangen und Laura braucht nun mal seine Freiheit.
Im Laufe der letzten Jahre hatte ich immer wieder mit dem Papagei und seinem Halter zu tun, wenn Laura wieder einmal vermisst wurde. Auch ich versuche natürlich, meine Möglichkeiten voll auszuschöpfen, damit Laura möglichst schnell wieder gefunden wird. UndGott sei Dank konnte er bisher stets ausfindig gemacht werden. Also rief ich Herrn Vogelrieder an und fragte ihn, ob er dabei helfen könne, Rico wieder einzufangen. Er erklärte sich sofort bereit dazu, kam mit Laura zuerst zu mir ins Tierheim und fuhr dann weiter nach Berg am Laim. In der Zwischenzeit informierte ich Frau W. und sprach ihr erneut Mut zu.
Als Herr Vogelrieder mit Laura auf der Schulter bei ihr eintraf, suchte er sich einen
Weitere Kostenlose Bücher