Liebling verzweifelt gesucht
Platz in der Nähe des Baums und begann, Rico mit leisen Rufen zu locken. Der Vogel sollte Laura sehen und dann hoffentlich zu ihm herunterfliegen. Rico beobachtete das Treiben auf dem Boden interessiert, aber er machte keinerlei Anstalten, seinen Platz im Wipfel des Baumes zu verlassen. Laura seinerseits schielte zwar zu ihm hinauf, aber ausgerechnet an diesem Tag hatte er offensichtlich weder Lust auf einen Rundflug noch darauf, seinem Artgenossen in luftiger Höhe einen Besuch abzustatten. Er rieb sein Köpfchen an Herrn Vogelrieders Wange und hatte es gemütlich.
Mittlerweile hatten sich einige neugierige Passanten sowie ein Fernsehteam eines Privatsenders am Fuß des Baums versammelt. Das Fernsehteam war zuvor bei mir im Tierheim gewesen, da es eine Reportage über die Vermisstenstelle drehte. Ich erzählte dem Team von dem entflogenen Papagei, der auf dem Baum saß und nun mit vereinten Kräften wieder eingefangen werden sollte. Das war eine interessante Geschichte, und so fuhr das Team umgehend nach Berg am Laim, um die Aktion zu filmen. Rico verharrte nach wie vor reglos auf seinem Ast. Herr Vogelrieder ging langsam um denBaum herum, entfernte sich und kam dann wieder näher. Aber Rico zeigte allen die kalte Schulter.
Frau W. informierte mich per Telefon über den Stand der Dinge. »Ich weiß nicht, was wir jetzt noch machen sollen, Frau Kosenbach«, seufzte sie. »Rico reagiert weder auf gutes Zureden noch auf die Anwesenheit von Laura. Es scheint ganz so, als wolle er nie mehr von diesem Baum herunterkommen.«
»Ich habe noch eine Idee«, sagte ich. »Sie haben mir doch erzählt, dass der Papagei erst seit gut vier Wochen bei Ihnen ist und seinen vorigen Besitzer immer noch vermisst. Vielleicht hat er mehr Vertrauen zu ihm und würde sich von ihm einfangen lassen. Wenn der Mann zu Ihnen kommen und Rico anlocken könnte, hätten wir eine reelle Chance, ihn endlich von dem Baum herunterzubekommen.«
»Sie haben recht. Das sollten wir unbedingt versuchen«, sagte Frau W. »Der ehemalige Besitzer von Rico wohnt nicht weit entfernt. Ich rufe ihn an und frage ihn, ob er herkommen kann.«
Glücklicherweise erreichte sie Ricos früheren Halter, Herrn N., sofort und er hatte auch Zeit zu kommen. Ihm lag immer noch sehr viel an dem Graupapagei. Die Trennung von dem Vogel war ihm nicht leichtgefallen und er vermisste ihn sehr. Kurz darauf traf er bei Frau W. ein. Er kannte Rico am besten und hatte eine Tüte mit dessen Lieblingsleckerlis mitgebracht. Der Papagei fraß für sein Leben gern Walnüsse. Herr N. stellte sich so hin, dass Rico ihn gut sehen konnte, raschelte mit der Tüte und holte demonstrativ eine Walnuss heraus. Dann hielt er sie hoch in die Luft und rief nach Rico.
Und tatsächlich trippelte der Vogel nun aufgeregt auf dem Ast hin und her. Herr N. raschelte weiterhin mit der Tüte und rief unablässig Ricos Namen. Die Schaulustigen verfolgten das Geschehen aus einiger Entfernung und standen mit offenen Mündern da, als der Papagei plötzlich mit den Flügeln schlug und elegant vom Baumwipfel herunter- und auf die ausgestreckte Hand von Herrn N. zuflog. Mit einem geschickten Manöver schnappte er sich die Nuss im Flug und hielt sofort wieder auf seinen Baum zu. Dort ließ er sich nieder und verzehrte seine Beute genüsslich.
Laura und Herr Vogelrieder
Herr N. gab nicht so schnell auf. Er wartete, bis Rico die Nuss aufgefressen hatte, raschelte wieder mit der Tüte und hielt eine neue Walnuss in die Höhe. Und dieses Mal sollte die Falle zuschnappen. Es dauerte nicht lange, da startete Rico erneut von seinem Ast und hielt geradewegs auf die Hand seines ehemaligen Besitzers zu. Dieser war nun besser auf das Flugmanöver des Papageis vorbereitet. Als der Vogel nach der Walnuss schnappte, hielt Herr N. sie ganz fest zwischen seinen Fingern und Rico ließ sich auf seiner Hand nieder. Diesen kurzen Augenblick nutzte der Vogelliebhaber. Rasch hielt er seinen langjährigen Gefährten mit der anderen Hand fest und setzte ihn dann behutsam in seinen Käfig. Alle freuten sich über die gelungene Aktion, die Zuschauer applaudierten und das Fernsehteam hatte gute Bilder im Kasten.
Wenn es um vermisste Tiere geht, gibt es unendlich viele unterschiedliche Situationen. Häufig muss man sich nur etwas einfallen lassen, um die Tiere wiederzubekommen. Kommt es zu einem Happy End, ist die Arbeit des Tierheims noch nicht automatisch vorbei. Ich kümmere mich auch danach noch um das Wohl der Tiere. Im Fall von Rico
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