Lieblingsstücke
und eigentlich der Hauptpunkt: Christoph im Zieleinlauf abpassen und beklatschen. Punkt fünf: Danach essen gehen, feiern und Spaß haben. In jeder Hinsicht!
Während ich einen weiteren Riegel Nuss-Schokolade anknabbere, begrüßt die Moderatorin der Fernsehsendung einen Mann, der mit betretenem Gesicht ins Studio kommt. Der arme Kerl sieht aus, als wäre ihm Schreckliches widerfahren. Und tatsächlich: Er hat fast seinen Penis amputiert bekommen. Als ob er sich schnell vergewissern müsste, dass er doch noch dran ist, greift er sich eben mal in den Schritt. Der Mann war, wie er dann, zum Glück in sehr verständlichem Englisch, erklärt, in Südamerika und hat in einen Fluss gepinkelt. Dummerweise hat ein sogenannter Candiru, ein kleiner Fisch, der es aber faustdick hinter den Kiemen hat, diese Botschaft missverstanden und ist ihm in die Harnröhre gesprungen. Normalerweise, wie die Moderatorin hilfreich erklärt, macht der Fisch das nicht. Er ist zwar ein mieser Parasit, schwimmt aber ansonsten in die Kiemen anderer Fische, hakt sich dort fest und saugt ihr Blut. Wie sich dieser welsartige kleine Fisch so irren kann, auch das erläutert die Moderatorin. Er verwechselte die Strömung des Pinkelstrahls mit der der Kiemenöffnungen und verhakt sich dann aufs Festeste in der Harnröhre. »Incredible pain!«, seufzt der Mann und greift sich, zum wiederholten Male, in den Schritt. Wahrscheinlich stöhnen in diesem Moment Millionen Amerikaner mit ihm auf. Eigentlich müsste man diese Geschichte einer noch größeren Öffentlichkeit zugänglich machen. Warum kann dieser nützliche Fisch nicht auch an der Luft leben? Allein
das Wissen um den »Penisfisch« würde jegliche Eckenpinkelei garantiert sofort abstellen, denn das Risiko, ihr bestes Stück zu verlieren, würden Männer sicher nicht eingehen. Der Fisch musste dem Mann übrigens operativ entfernt werden. Unglaublich! Auch in einer Folge
Grey’s Anatomy
gab es mal einen Penisfisch. Damals habe ich allerdings noch geglaubt, das wäre eine Erfindung der Seriendrehbuchschreiber. Zu Trainingszwecken und als Lehrmeister wäre auch ein Spuckfisch fantastisch. Wer auf die Straße rotzt, wird sofort von einem ekligen Wesen in die Eier gebissen.
Die frühe Uhrzeit führt zu skurrilen Gedanken. Ich mache einen Rotwein auf, um vielleicht doch noch die Chance auf ein, zwei Stunden Schlaf zu haben. Nachdem der Fast-Penis-Amputierte im Fernsehen nochmal betont, wie froh er ist, dass sein Penis noch dran ist, was ich übrigens nicht so wahnsinnig überraschend finde, mahnt die Moderatorin alle Männer davor, unbedacht irgendwohin zu pinkeln. Vor allem in südamerikanische Gewässer. Zwei Frauen, ein Gedanke. Allerdings hätte sie sich den Gewässer-Zusatz sparen sollen.
Ich mache den Fernseher aus und rufe meinen Vater an.
»Du glaubst nicht, wer angerufen hat!«, tönt es aus dem Hörer. »Schon wieder dieser Lümmert?«, frage ich ängstlich. »Nein«, sagt mein Vater, und man hört eine gewisse Genugtuung aus seiner Stimme.
»Deine Frau Mutter! Sie kommt morgen Nachmittag!« Das klingt nach einer guten Nachricht.
»Prima, Papa«, sage ich, »ich wusste doch, ihr seid vernünftig. Ihr seid doch meine Eltern. Wenn ihr euch erst trefft … «
»Moment«, unterbricht er mich, »in der Regel folgt auf wenn erst ein So und dann ein Denn.«
»Ja, ja, Papa«, bin ich ein bisschen genervt, denn es sollte doch auch mal einen Satz ohne Wilhelm Busch geben, »sei doch mal ein bisschen optimistisch.«
»Sie kommt her, um auf die Kinder aufzupassen, weil ich mich ja mit diesem alten Freund treffe.«
Wenn die zwei sich erst wiedersehen, wird schon alles werden. Ich hoffe, dass ich da nicht zu blauäugig bin. Ich beschließe, das Thema zu lassen und frage, ob Christoph sich gemeldet hat.
»Hat er, hat er. Und er war ein bisschen irritiert, dass du nicht da bist. Ich habe erzählt, du wärst joggen. Da war er noch erstaunter. Aber mir ist so schnell nichts anderes eingefallen«, entschuldigt sich mein Vater. Kein Wunder, dass Christoph bei der Ausrede erstaunt war.
»Hast du ihn gefragt, in welchem Hotel er ist?«, will ich wissen.
»Oh, das habe ich vergessen, tut mir leid, Andrea.«
»Hat er gesagt, wann er wieder anruft?«, frage ich. »Vielleicht heute Abend, sonst morgen vor dem Lauf. Soll ich dann sagen, dass du auch in New York bist?«, erkundigt er sich freundlich.
Ich zögere. Einerseits ist es albern, auf dem Überraschungseffekt zu beharren, andererseits habe ich
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