Lieblingsstücke
Christoph.
Immerhin finde ich das Hotel auf Anhieb, und man teilt mir sogar seine Zimmernummer mit. Sechster Stock, Zimmer einhundertvierunddreißig. Ich bin irrsinnig aufgeregt, freue mich auf sein erstauntes Gesicht und hoffe, dass mir die Überraschung gelingt.
Ich klopfe an die Tür, vor der jede Menge dreckiges Geschirr steht. Ein bisschen viel Geschirr für eine Person. Hat der hier ein Fressgelage veranstaltet? Und wenn ja – mit wem? Zwei Teller, mehrere Gläser und zwei silberne Abdeckhauben. Hmm. Wer wird mir wohl hier gleich die Tür aufmachen? Und was mache ich, wenn da in Christophs Bett irgendeine Marathonläuferin liegt? Eine drahtige, ausgezehrte Blondine mit ellenlangen Beinen und muskulösen Waden? Sie rauszerren, anbrüllen oder schweigend das Zimmer verlassen und sofort die Scheidung einreichen? Ich tendiere zur letzten Möglichkeit. Vielleicht sollte ich ihn vorher noch anspucken.
Ich nehme meinen Mut zusammen und klopfe nochmal.
Ich klopfe mehrfach. Keine Reaktion. Entweder ist keiner da, oder sie verstecken sich. Ich kann die Tür schlecht aufbrechen, also gehe ich. An der Rezeption frage ich erneut nach Christoph.
»He is not in his room«, sage ich und erfahre, dass Christoph längst seinen Zimmerschlüssel abgegeben hat.
»He already left for the run!«, bekomme ich die Information. Hätten die mir doch gleich sagen können. Da wäre mir auch der Geschirranblick erspart geblieben.
Inzwischen bin ich nahezu ratlos. Wie soll ich meinen Mann jetzt finden? Was bin ich bloß für ein naives Wesen. Was habe ich mir bei diesem Ausflug nur gedacht. Nichts. Oder besser gesagt, nicht genug.
Ich setze mich in die Hotellobby und grübele. Was tun? Zum Start gehen und hoffen, dass ich ihn finde? Oder mich ins Ziel stellen und einfach abwarten? Zuerst probiere ich erneut das Naheliegendste. Anrufen. Und immerhin, ein Fortschritt – die Mailbox geht an. Ich spreche drauf. Trotz oder gerade wegen meiner Geschirrbedenken.
»Wo bist du? Ich will dich sehen. Bin ganz nah bei dir. Drücke die Daumen. Melde dich. Bitte. Kuss.«
Auch eine E-Mail schreibe ich vom hoteleigenen Computer. So wie der seinen Blackberry liebt, besteht ja eine, wenn auch kleine Chance, dass er sie lesen wird.
Ich bin hier. Sehne mich nach dir. Hattest wohl großen Hunger! Ruf mich an!
Die Bemerkung mit dem Hunger konnte ich mir nicht verkneifen.
Ansonsten habe ich keine geniale Idee. Mein Hirn ist leer. Da fällt mir das Universum ein.
»Bitte, liebes Universum, lass mich meinen Mann möglichst schnell finden. Lass ihn seine Mail lesen oder seinen
Anrufbeantworter abhören. Bitte.« Schaden kann so eine Bestellung ja keinesfalls. Und ich bin inzwischen so weit, dass ich wirklich dran glauben will. Schon, weil mir sonst nichts mehr einfällt. Das sage ich dem Universum allerdings nicht. Es muss ja nicht alles wissen!
Inzwischen ist es halb acht, und ich verlasse das Hotel. Auf den Straßen überall Läufer. Wie die Ameisen streben sie alle in eine Richtung. Ich komme mir sofort extrem unsportlich vor. Ich habe mir im Hotel einen Plan mit der Laufstrecke besorgt und voller Entsetzen gesehen, dass die Läufer in Staten Island, also noch weit hinter Brooklyn, starten. Das wird knapp. Der Lauf geht durch Brooklyn, Queens, die Bronx und endet mit dem Zieleinlauf im Central Park. Da ich weiß, dass Christoph auf jeden Fall mehr als drei Stunden brauchen wird, er hat ja in den letzten Monaten über kaum etwas so oft gesprochen wie seine Laufzeiten, erscheint es mir am sinnvollsten, im Ziel auf ihn zu warten. Irgendwann muss er ja da durchkommen. Und vor dreizehn Uhr kann es nicht sein. Realistisch gesehen nicht vor dreizehn Uhr dreißig. Also habe ich noch eine ganze Weile Zeit.
Ich versuche, zu entspannen. Mehr kann ich nun definitiv nicht tun. Wir werden uns spätestens am Flughafen treffen. Schließlich fliegen wir in derselben Maschine zurück. Zwar in unterschiedlichen Klassen, aber immerhin. Das hätte zwar etwas Groteskes – ein Wochenende in New York, ohne sich zu sehen –, aber das soll uns erst mal einer nachmachen.
Meine gute Laune kehrt zurück. Ich versuche, die Geschirrgedanken zu verdrängen. Außerdem – vielleicht hat da jemand vom Service auch schon was zusammengestellt,
suche ich mir eine schöne Ausrede für meinen Mann. Machen Frauen ja gerne. Selbst Frauen, die beschissen werden, dass es nur so kracht, wollen es oft einfach nicht merken. Auch wenn die Indizien sich meterhoch vor ihnen
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