Liebster Mitbewohner
Grund die beiden sich streiten könnten.
„Nicht der Rede wert.“ Daniel hatte die Kiefer aufeinander gepresst und schaute zur Seite.
Beinahe musste ich über seine klägliche Lüge lachen.
„Hast du was von Leon gehört?“
Mein Lächeln verging mir augenblicklich. „Nein.“
„Tut mir leid.“
„Kannst du ja nichts für.“
„Wie kam es denn überhaupt dazu?“
Ich seufzte lautlos und erzählte die ganze Geschichte noch einmal.
Daniel sah mich nur schweigend an. Ihm schienen die Worte zu fehlen.
„Aber weißt du was? Ich will mir einfach nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen. Ständig frage ich mich, ob er mit seiner Meinung über mich nicht doch Recht hat. Das macht mich wahnsinnig.“
„Du bist wie du bist. Was sollte daran falsch sein?“
„Ach komm. Leon und Felix sind auch wie sie sind und daran ist eine Menge falsch.“
„Apropos.“ Schon wieder dieses Grinsen. „Wie lief’s?“
Sein anzüglicher Tonfall gefiel mir gar nicht. „Wie lief was?“
„Na, die erste Nacht mit deinem Schulschwarm.“
Schnell langte ich quer über den Tisch und hielt ihm den Mund zu. „Bist du blöd? Wenn er das hört!“
Daniel befreite sich lachend von meiner Hand. „Also?“
„Außerdem ist es sehr, sehr lange her, dass ich für ihn geschwärmt habe.“ Ich bemühte mich, meine Stimme so leise wie möglich zu halten.
„Wer’s glaubt. Immer, wenn sein Name gefallen ist, hast du ganz leuchtende Augen bekommen. Sogar, als du schon mit Leon zusammen warst.“
„Das stimmt nun wirklich nicht!“
„Doch. Und deshalb hab ich dir auch nicht erzählt, dass ich noch Kontakt mit ihm habe.“
„Dass er bei dir wohnt hättest du aber ruhig mal erwähnen können.“
„Wozu? Damit du unter falschen Vorwänden hier her kommst und um sein Zimmer herumschleichst, nur darauf wartend, dass du ihn zu Gesicht bekommst?“
Ich sagte nichts. Das Dumme war, dass er möglicherweise Recht hatte. „Wenn es dein Ziel war, meine dumme Schwärmerei zu ersticken, dann hast du genau das Falsche gemacht.“
„Sag nicht, du bist immer noch… “
„Nein! Das erkläre ich dir doch gerade. Ehrlich, wie kann man für den Kerl, der aus ihm geworden ist, noch schwärmen? Hättest du mir früher von deinem Kontakt zu ihm erzählt, hätte ich ihn früher wieder getroffen und früher bemerkt, was für ein Idiot aus ihm geworden ist.“
„Also keine kuschelige Nacht gehabt?“
„Wir haben es irgendwie geschafft, uns zu arrangieren. Von gelegentlichen Zickenattacken seinerseits mal abgesehen. Was gibt es da zu grinsen?“
„Gar nichts. Ich bedaure nur, dass ich so lange weg war. An eurer Tür zu lauschen hätte bestimmt viel Spaß gemacht.“
„Du hättest dich zu Tode gelangweilt. Die meiste Zeit war es totenstill. Außer, wenn ich mich gewagt habe, den Mund aufzumachen. Weißt du, warum er so bockig wird, wenn man ihn auf seine Arbeit anspricht?“
„Ich bin mir nicht sicher“, sagte er ausweichend.
„Was hat er gearbeitet?“, wiederholte ich die Frage, die gestern von Felix unbeantwortet geblieben war.
„Arzt.“
Mein Unterkiefer klappte auf.
„Kein richtiger Arzt. Also irgendwie schon, aber auch nicht… ach, ich kenn mich damit ja auch nicht aus. Ich glaub, Assistenzarzt heißt das, wenn man frisch das Studium beendet hat und die erste Zeit arbeitet.“
„Felix hat Medizin studiert?“ Darauf wäre ich nie gekommen. Klar, er hatte immer gute Noten in der Schule gehabt, auch wenn ich seinen genauen Abiturdurchschnitt nicht kannte. Aber mir war er nicht besonders ehrgeizig vorgekommen. Eher wie einer dieser beneidenswerten Menschen, denen der Erfolg zuzufliegen scheint. Soviel ich damals mitbekommen hatte, war er ständig mit Freunden unterw egs gewesen. Daheim am Schreibtisch sitzend und lernend hatte ich ihn mir nie vorgestellt.
„Ja, aber es hat ihm nicht besonders viel Spaß gemacht.“
„Warum hat er es dann studiert?“
Daniel zuckte mit den Achseln. „Am Anfang wusste er wahrscheinlich noch nicht, dass es ihm keinen Spaß macht.“
„Wieso hat er dann nicht damit aufgehört, als es ihm klar wurde?“
„Ich weiß es nicht. Ist ja nicht so, dass wir alle paar Tage telefoniert hätten. Er kam halt immer mal vorbei, wenn er in den Semesterferien hier war und seine Eltern besucht hat. Und da hat er meistens erzählt, dass ihm das ganze Studium zum Hals raushängt und er keine Lust auf die ganze Lernerei hat.“
Also schien ihm das Am-Schreibtisch-über-Büchern-Brüten tatsächlich
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