Liebster Mitbewohner
Schrankwand hinter seinen Aktenordnern sehen kann. Er hat sein Leben schon vor langer Zeit durchgeplant und da passt jemand, der so spontan ist wie du, einfach nicht rein.“
„So simpel ist das?“ Plötzlich war ich wütend. Nicht nur auf Leon, sondern auch auf Elena, die meine jahrelange Beziehung so ba gatellisierte.
„Sicher nicht. Leon hat dich bestimmt geliebt, sonst wäre er ja nicht mit dir zusammen gewesen. So kalt schätze ich ihn dann doch nicht ein. Aber wenn man so genaue Vorstellungen hat wie er, und man immer mehr merkt, dass die Freundin nicht so ist, wie man sie gern hätte, verfliegen die Gefühle mit der Zeit. So ähnlich war es bei mir und Alejandro, weißt du noch?“
„Dein Spanier, den du unbedingt heiraten wolltest?“
Elena grinste. „Genau der.“
Ich dachte an den Tag vor zwei Jahren zurück, als ich Elena das erste und einzige Mal völlig aufgelöst erlebt hatte. Plötzlich stand sie bei mir vor der Tür, klitschnass, weil sie Mitten im April keinen Schirm dabei gehabt hatte. So etwas passierte ihr sonst nie. Man konnte das Karo-Muster ihres BHs durch den nassen weißen Blazer sehen. Das durch die Feuchtigkeit pechschwarz wirkende Haar hatte seine natürliche Lockenform angenommen und die vormals weißen Riemchensandalen waren dreckig-braun verfärbt.
„Hast du…?“, fragte ich, doch Elena wischte meine Frage mit einer unwirschen Handbewegung weg.
„Ich hab nicht geheult. Das war der Regen.“
„Was ist passiert?“
„Ich hab mich von Alejandro getrennt.“
Ich konnte sie damals nur anstarren. Alejandro war der Mann ihres Lebens gewesen, das hatte sie immer wieder gesagt. Seit dem Tag, an dem sie zusammengekommen waren, hatte Elena Pläne vom Zusammenziehen und Heiraten geschmiedet. „Wieso?“, brachte ich heraus.
„Dieses ständige Hin und Her. Ich hab einfach keine Lust mehr. Erst will er mit mir zusammenziehen und wir schauen und gemeinsam Wohnungen an. Dann ist ihm plötzlich alles zu viel und er sagt, er braucht noch Zeit. Wir passen einfach nicht zusammen.“
Das hatte sie auch in der Zeit danach immer wieder gesagt, wenn die Sprache auf Alejandro kam: Wir passten nicht zusammen.
Jetzt grinste mich Elena an, doch auf mich wirkte es traurig und reuevoll. „Deshalb glaube ic h, dass ich Leons Verhalten gut nachvollziehen kann. Ich habe damals so viele Erwartungen an Alejandro gestellt und als er sie nicht erfüllen konnte, habe ich Schluss gemacht. Ich dachte, er wäre einfach nicht der Richtige.“
„Und ein paar Monate später hast du deine Entscheidung bereut.“
Elena nickte. „Das war bitter. Zu verstehen, dass nicht er das Problem war, sondern ich. Und noch bitterer war, erleben zu müssen, dass er mich nicht zurück wollte. Aber ich habe daraus gelernt. Mit Steffen weiß ich, dass es eben keine perfekte Beziehung gibt. Dass man dranbleiben und aneinander arbeiten muss. Ich werde zum Beispiel nie müde, Steffen zu sagen, dass er nach dem Rasieren das Waschbecken ausspülen soll.“
„Glaubst du wirklich, dass das immer so sein muss? Dass es nicht auch Menschen gibt, die einfach gut zusammenpassen und sich so verstehen, wie sie sind?“
„Idealistin.“ Sie grinste und ich grinste zurück.
Aber insgeheim dachte ich, dass die Reibereien in ihrer Beziehung diesmal nicht Elenas Schuld waren. Sondern die ihres Freundes Steffen, mit dem sie seit sechs Monaten zusammenwohnte. Nach allem, was sie mir bisher über ihn erzählt hatte, konnte er ein echter Idiot sein. Und die paar Mal, die ich ihm begegnet war, hatte er auch nicht gerade einen glänzenden Eindruck hinterlassen.
„Vielleicht wird Leon auch irgendwann merken, dass er sich die perfekte Freundin nicht backen kann.“
„Bisher hat er sich jedenfalls noch nicht bei mir gemeldet.“
„Vergiss ihn“, riet Elena. „Lösch seine Handynummer, dann kommst du wenigstens nicht in die Versuchung, ihn anzurufen. Und block ihn bei Facebook. Hast du eigentlich noch Sachen in seiner Wohnung?“
Ich nickte. „Wenigstens keine Möbel, nur ein paar Umzugskisten, die ich gestern schon gepackt habe.“
Elena streckte fordernd die Hand aus. „Gib mir den Wohnungsschlüssel. Ich nehm e Steffen mit und mach das.“
„Danke.“ Ich händigte ihr den Schlüsselbund aus. Gleichzeitig fiel mir ein, dass ich gar keinen Schlüssel zu Daniels Wohnung besaß. Hoffentlich war Felix nachher zu Hause. Und hoffentlich machte er mir auf, wenn er zu Hause war. Ob ich mich lieber gleich als Postbotin ausgeben
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